
Die Trauer um Toulouse
Ein Beitrag zu der Trauer um die Mordopfer von Toulouse und die Schilderung der emotionalen Achterbahn, die mit ihr einherging.
Der erste Schock
Es ist eine andere Welt, die man betritt. Sobald man sich einem Thema einer Hausarbeit zuwendet, schaltet man einfach alles andere ab und versucht sich nur noch damit auseinander zu setzen.
Doch dann kommen Eilmeldungen über Eilmeldungen. Berichte von Morden an Kindern. Eine Live-Berichterstattung vor dem Haus des Mannes, der die Morde begangen hat. Man hört Schüsse. Die Kamera wackelt. Noch bizarrer kann es kaum werden. Dann berichtet man, dass der Mann, dessen Haus man zwölf Stunden lang belagert hat, damit man ihn schließlich lebend fassen kann, umgebracht wurde. Warum warten, wenn es sowieso geschieht? Ich kann mich nicht mehr meinem Thema zuwenden. So sehr auch die nordirische Bürgerrechtsbewegung fasziniert, wenn jemand als Tatmotiv Judenhass und als Mordopfer Kinder auswählt, dann kann ich nicht mehr wissenschaftlich bleiben. Dann muss Nordirland kurz da bleiben, wo es gerade ist.
Der tiefe Groll
Ich kann nicht begreifen, wie jemand ernsthaft so hasserfüllt sein kann. Ich lese von einem Mädchen, das quer durch den Schulhof gejagt wird und dann erschossen wird. Eine Grundschülerin. Die Welt ist krank. Fragt sich nur, ob es da was von Ratiopharm dagegen gibt? Wahrscheinlich nicht. Ob wohl die Politik einen Ausweg weiß? Nein, die betreibt immer noch Wahlkampf. Selbst jetzt. Die Welt ist also auch an der Stelle krank. Vielleicht gerade da. Und dennoch. Irgendetwas muss man doch tun können? Soll ich ernsthaft einfach so tun, als wäre nichts gewesen und mich um meine Hausarbeit kümmern? Ich grübele. Ich wüsste nicht, was ich tun könnte. Ich setze mich ans Schreiben. Da ist sie aber: Die Blockade. Ich kann nicht. Mein Hirn rast. Ich komme nicht zur Ruhe. Der Fernseher muss ausgeschaltet und die Newsticker müssen ignoriert werden. Verdrängung als Ausweg? Auch das funktioniert nicht.
Ein kleiner Lichtblick
Irgendwann bekomme ich einen Anruf. Ein Trauergottesdienst. Organisiert von der jüdischen Gemeinde. Ob ich nicht auch kommen könnte? Ich sage sofort zu. Ich weiß nicht einmal, ob ich eine Verabredung habe oder nicht. Alles unwichtig. Ich gehe also an einem Freitagabend zum Gottesdienst in der jüdischen Gemeinde und stelle fest, dass ich in einem Hochsicherheitstrakt gelandet bin. Zögernd nähere ich mich der Polizeiabsperrung. Mich beschleicht ein mulmiges Gefühl. „Na hoffentlich denken die nicht, ich bin hier wegen sonst was da“, denke ich und frage: „Kann…man da durch?“ Der Polizist blickt mich an und erwidert: „Ja klar. Wohin wollen Sie denn?“ „Zum Gottesdienst.“ Er beschreibt mir den genauen Weg dahin und ich laufe noch mehr Polizisten entgegen. Ich muss schon ziemlich zaghaft gewirkt haben, denn mittlerweile lächeln mir zwei Polizisten ermutigend zu. „Oh man…die denken bestimmt ich bin nicht mehr ganz sauber da oben.“ Ich versuche mich also nicht mehr zu benehmen als wäre ich gerade aus der geschlossenen Anstalt ausgebrochen und gehe nun mit festerem Schritt Richtung Gemeindehaus. Man spricht mich auch sofort an und beschreibt mir den Weg. Eigentlich brauche ich gar keine Wegbeschreibung mehr, weil mich stets jemand Neues begrüßt und mich ein Stück begleitet, bis ich schließlich im…ich weiß gar nicht wie man das nennt. Ich bin jedenfalls im Gottesdienst und setze mich zu meinen Leuten. Es sind nicht so viele von uns da wie ich gehofft hatte. Aber immerhin wusste man erst seit Stunden von dieser Aktion. Eine viel zu kurze Zeit, um viele zu erreichen. Aber dennoch. Ich bin da. Ich sitze dort inmitten der Gemeinde und höre den Gebeten zu. Nur fünf Minuten, so kommt es mir vor, dauert der Gottesdienst. Es werden Kerzen angezündet für die Todesopfer. Jede vertretene Religionsgemeinschaft (Muslime, Juden, Christen und Bahai) soll eine anzünden. Doch das sehe ich nicht mehr. In dem Moment wandert mein Gedanke zu meinem Schreibtisch und meiner Hausarbeit. Meine nordirischen Bürgerrechtler fallen mir ein.
Und täglich grüßt…
Nachdem wir noch kurz mit Gemeindemitgliedern und Rabbiner sprechen, brechen wir auf. Die meisten redend. Ich bin immer noch abwesend. Mir fällt wieder das jüdische Mädchen ein und irgendwie verzahnt sich in meinen Gedanken ihr Mord mit den Bürgerrechtlern, die Gleichberechtigung für Katholiken in Nordirland fordern. Ich denke darüber nach, wie die Bürgerrechtsbewegung ein jähes Ende fand: durch den Mord an 14 Katholiken. So was. Und ich schreibe darüber, als wären solche Tatmotive irgendwo in der Vergangenheit angesiedelt. Dabei… war ich gerade in einem Gottesdienst, weil ein Irrer Menschen tötet, nur weil sie jüdisch sind. Und da ist das unbehagliche Gefühl wieder. Diese innere Anspannung. So als wüsste man nicht, ob zu Hause noch das Bügeleisen an ist. Oder ob jemand die Replay-Taste ständig gedrückt hält.