
„Gestern hat ein Mann namens Hamed Abdel-Samad mein Herz höher schlagen lassen. Wobei das eigentlich gar kein Ausdruck ist für die schweißnassen Hände, die pochenden Schläfen und für die Gedanken, die sich in meinem Kopf überschlagen, als man mir das Mikro in die Hand drückt. Am Ende bin ich völlig ratlos, was sich da eigentlich die letzen zwei Stunden vor meinen Augen abgespielt hat.
Rückblick: meine Freundin Sibylle will mir etwas gutes tun und besorgt zwei Karten für den Freitagsalon. Jakob Augstein lädt sich dazu Gesprächspartner ein, mit denen er ein ausgewähltes Thema erörtert. So weit so gut. Dieses Mal hat sich Augstein unter dem Titel „Welchen Islam wollen wir?“ den sogenannten Islamkritiker Abdel-Samad ins Boot geholt.
Sibylle und ich betreten also am Dienstag Abend das überfüllte Foyer des Maxim Gorki Theaters. Ein älterer Herr hat Plätze in der ersten Reihe für uns freigehalten. Ich blicke mich um und sehe ein auf den ersten Blick sehr homogen anmutendes Publikum. Alle scheinbar mit einem akademischen Background gesegnet, gut situiert, gut gekleidet, gut gelaunt.
„Der Islam entmenschlicht alle Ungläubigen.“
Zu Beginn stellt Augstein ein paar privatere Fragen, Abdel-Samad entgegnet er fühle sich wie beim Psychologen. Das Publikum lacht herzlich.
Dann geht’s ans Eingemachte. Abdel-Samad ist nämlich auch Autor des im April erscheinenden Buchs „Der Islamische Faschismus“. Darin stellt er unter anderem die These auf, dass der Islam „faschistoide Züge“ habe. Er wartet mit allem Denkbarem auf, dass sich bedrohlich und unheimlich anhört. Von Absolutheitsanspruch, über charismatische Führer, bis hin zur Einigung des Volkes und den Schutz gegen den Feind, alles könne man im Koran und überhaupt im Islam finden. Wer genau der Feind sein soll? Auch darauf weiß der Publizist zu antworten: „Der Islam entmenschlicht alle Ungläubigen.“ Um seine Thesen zu unterfüttern, zieht Abdel-Samad die Geschichte zur Rate. Generell blühte nämlich die islamische Welt erst dann auf, als sie sich vom Koran entfernte. Während des goldenen Zeitalters des Islam trank man nämlich auch Alkohol in Bagdad und Kairo, und das Kopftuch war eher eine Randerscheinung.
Abdel-Samad zieht gewagte Parallelen zum Nationalsozialismus und nennt Verfehlungen wie die anfängliche Skepsis gegenüber dem Buchdruck in der islamischen Welt, sowie aktuelle sozioökonomische und politische Schwächen. Die Wurzel allen Übels will er im Koran und überhaupt in jeglichem politischen Anspruch des Islam gefunden haben. Da der Koran in der islamischen Welt, anders als die Bibel im Westen, als das unverfälschte Wort Gottes gelte, eigne er sich dazu, Andersdenkende moralisch zu erpressen und Gewalt zu legitimieren. Wenn er den Islam beschreibt, benutzt Abdel-Samad auffallend oft das Wort „Krankheit“, das Publikum grölt und johlt. Augstein wiederum begnügt sich mit halb belustigten, halb ironischen Fragen: „Wir haben 1,75 Milliarden Muslime auf der Welt, habe ich bei Wikipedia gelesen. Die können doch nicht alle Islamisten sein, oder? Ich meine, was machen wir mit denen, es sind halt sehr viele.“ Abdel-Samads Antwort: „Ich verunglimpfe nicht 1,75 Milliarden Muslime, wenn ich sage, dass der Islam faschistoide Züge hat. Die meisten Muslime sind friedlich und wollen nur das Beste für ihre Kinder. Aber auch wenn nur wenige Prozente unter ihnen Islamisten sind, so handelt es sich immer noch um mehrere Millionen Menschen.“ Beim Thema der Muslime in Deutschland rät Hamed Abdel-Samad zur Beendigung der Kooperation des Staates mit den islamischen Verbänden. Statt darauf hinzuarbeiten dem Islam einen Körperschaftsstatus zu verleihen, solle lieber der Einfluss der Kirchen verringert werden, um so eine Gleichbehandlung beider Religionen zu erreichen.
„Ich verunglimpfe nicht 1,75 Milliarden Muslime, wenn ich sage, dass der Islam faschistoide Züge hat.“
Als das Gespräch endlich für das Publikum geöffnet wird, meldet sich ein evangelischer Pfarrer zu Wort. Ihm habe es einen Schrecken eingejagt, als Abdel-Samad von dem Untergang des Islam gesprochen hat, davon, dass von dieser Religion nur noch Folklore übrig bleiben werde. Für ihn als Pfarrer sei es auch nicht erstrebenswert, den Einfluss der Religionen zu schmälern. Dabei fällt ihm Henrik M. Broder ins Wort, sagt Dinge, die für alle weiter entfernt Sitzenden unverständlich bleiben. Auf einen konstruktiven Beitrag Broders sollten wir an diesem Abend allerdings vergeblich warten.
Jetzt versuche auch ich mein Glück und hebe meine Hand zur Wortmeldung. Ich stimme zu, natürlich sei die islamische Welt mit Problemen konfrontiert, auf die sie bisher keine Antworten zu geben scheint. Ich erzähle davon, dass ich allerdings hier in Deutschland geboren und aufgewachsen bin, dass ich hier studiere und die Meinungsfreiheit in diesem Land schätze. Dass ich das Grundgesetz achte und politische Teilhabe fordere und wahrnehme. Ich will wissen, ob ich nicht der lebendige Beweis dafür bin, dass Abdel-Samads Thesen falsch sind. Das einzige, was ihm dazu einfällt, ist mir zu unterstellen, dass ich in keinem islamischen Verband organisiert sein dürfte, denn das Grundgesetz zu achten, scheint dazu nicht zu passen. Abdel-Samad degradiert mich zum Opfer, erklärt später ich bemitleide mich selbst und wolle ihm den Mund verbieten, worin Broder ihn lautstark unterstützt. Als letztes will ich wissen, was das Publikum als Mehrwert von dieser Veranstaltung mit nach Hause nehmen werde. Wie Abdel-Samad es miteinander vereinbaren kann, die Gleichbehandlung von Frauen mit Kopftuch auf dem Arbeitsmarkt zu fordern, aber gleichzeitig Bücher über den islamischen Faschismus zu schreiben und derartige Thesen zu verbreiten. Eine Antwort sollte ich nicht bekommen.“ – JUMA-Teilnehmerin Nemi El-Hassan
Die Tageszeitung „neues deutschland“ war ebenfalls anwesend und berichtet hier.