
„Oh ihr Winde, falls ihr eines Tages das gesegnete Land überquert, überbringt meinen Gruß und Friedenswunsch am heiligen Grabe, wo doch ruht der beste und vollkommenste Prophet.“
Imam Zainal Abidin
Heute ist es kaum vorstellbar, dass der Mensch mit der Natur spricht – seine Sorgen einer Pflanze oder einem See erzählt. Ich gehe sogar so weit zu sagen, dass ein großer Teil unserer materialistischen Gesellschaft dazu neigt Menschen, diejenigen welche Konversationen mit der Natur praktizieren als verrückt zu erklären, obwohl doch Dichtungen und Texte muslimischer GelehrtInnen jenes Phänomen widerspiegeln.
Al-Jazuli? Nafisa? Hafiz? Jami? Rabia? Yunus Emre? – Was für eine Bedeutung trägt die Dichtung und Spiritualität eigentlich noch in unserem islamischen Alltag? Gibt es sie überhaupt noch in unserer religiösen Praxis, oder ist sie doch wieder nur eine weitere vergessene Tradition?
„Fragen tat ich: „Wieso ist gekrümmt dein Hals, oh du gelbe Blume?“ „Ich neige mich zu meinem Herrn, sprach sie zu mir.“ Fragen tat ich: „Wieso ist so gelb deine Haut, oh du gelbe Blume?“ „Der Tod ist mir nahe“, sprach sie zu mir. Fragen tat ich: „Gibt es denn auch den Tod bei euch, oh du gelbe Blume?“ „Gibt es denn einen Ort ohne ihn?“, sprach sie zu mir.“

Dies ist ein Teil aus einem spätseldschukischen Diwan des bekannten Dichters und Gelehrten Yunus Emre, in dem eine Konversation mit einer Pflanze stattfindet. Dieses Gedicht ist nur ein Beispiel von Hunderten. Interessant ist die Frage, woher diese tiefe Leidenschaft stammt, eine Brücke zur Natur bauen zu wollen. Die Antwort ist ganz einfach. Im heiligen Quran heißt es:
„ […] Er (Gott) hat euch Tag und Nacht, Sonne, Mond und Sterne Seiner Verfügung gemäß dienstbar gemacht. Darin sind Zeichen für Menschen, die sich des Verstandes bedienen. Er hat euch auf Erden allerlei Wesen, vielfältig in Form und Farbe, geschaffen. Darin sind Zeichen für Menschen [… ] Wollt ihr denn nicht darüber nachdenken? “
Wir glauben an einen Gott, der allwissend ist und jedes einzelne Atom im Universum mit einer Weisheit versah. Machen wir uns jedoch Gedanken über jene Weisheit? Suchen wir sie? – wo doch das Suchen und das Erkennen ein direkter Befehl an die Menschheit ist.
Bei einem Vortrag in der katholischen Akademie sagte die kanadische Gelehrte und Denkerin Dr. Ingrid Mattson etwas sehr Wichtiges:
„Gott spricht zu euch durch die Schöpfung. Allein ein fliegender Vogel oder ein fließender Fluss lehren mich und erinnern mich an Allah.“
Die Kunst liegt darin diese Zeichen Gottes zu erkennen. Allerdings fehlt uns allen die Bereitschaft dazu. Wie viele MuslimInnen gehen weder in die Wälder zum Wandern noch machen sie sich Gedanken über Himmel und Erde.
Yunus Emre führt in seinem Diwan fort:
„Schätze nicht gering den Wert des Erdbodens, weißt du denn nicht was sich unter ihr befindet? Mein Genosse, der Ort, wo der Freund Gottes hunderttausend Propheten begegnet.“
Unter der Erde? Die meisten von uns sehen nur das, was auf ihren Bildschirmen zu sehen ist. Mehr nicht. Geprägt hat die Gebundenheit zur Natur nicht nur die islamische Poesie und den Fikr (das Nachdenken über Gott und seine Eigenschaften), sondern auch den Fiqh (die praktische Theologie). Allein die rituelle Gebetswaschung wird durchgeführt mit Wasser und falls dieses nicht vorhanden mit Erde. Hierbei ist wichtig zu beachten, dass nicht nur eine metaphysische, sondern viel mehr eine körperliche Verbindung zwischen Mensch und Natur geschaffen wird.
Dr. Hamza Yusuf – der Begründer des Zaytuna Instituts für islamische Theologie in Kalifornien – sagte diesbezüglich:
„Berührt die Erde. Spürt sie. Etwas, das Kinder lieben, ist das Spielen mit Schlamm. Warum lieben sie es mit Schlamm zu spielen? – Weil sie immer noch mit der Natur verbunden sind. Die Welt ist noch etwas Reales für sie. Wir haben uns losgelöst von ihr. Jedoch die Verbundenheit mit der Natur bringen uns zu den wesentlichen Elementen, aus denen wir bestehen: Erde und Wasser. Bewegt euch! Menschen sitzen den ganzen Tag an ihrem Tisch. Ich meine, beobachtet eine Katze, sie bewegt sich und möchte die Welt erkunden. Eine Katze könnte nicht den gesamten Tag am Schreibtisch verbringen, denn sie hat nicht ihren Verstand verloren.“
Es ist sehr wichtig, dass wir aus unserem materialistisch-modernistischem Islamverständnis herauskommen, unsere Komfortzone verlassen, wieder die Verbindung zur Natur und zu unserem Selbst suchen, denn wie auch der bekannte Dichter und Wissenschaftler Niyaz-i Misri sagte: „Denke nicht, dass du erfühltest deine Aufgabe nur durch Fasten, Gebet und Pilgerfahrt, um ein vollkommener Mensch zu werden brauchst du Verständnis und Erkenntnis.“
Die Natur lebt, jedoch liegt es nun bei uns unsere Herzen wiederzubeleben!
Der Autor dieses Beitrags ist Yunus-Emre, einem Mitglied der JUMA-Webredaktion.