Die Attentate in Paris gehen auch an den JUMA Teilnehmern nicht spurlos vorbei. Auch sie diskutieren intensiv über den Terror, seine Ursachen und Folgen. Deswegen haben wir Teilnehmerinnen und Teilnehmer des JUMA Projekts gefragt: Wie nimmst du die Anschläge in Paris wahr? Was macht das mit dir? Welche Folgen siehst du? Was wünscht du dir von Gesellschaft, Medien und Politik?

Einige Stellungnahmen von JUMA Teilnehmern finden Sie hier. Es sind sehr persönliche, individuelle Äußerungen, die keine Repräsentativität beanspruchen.

Erschütterung, Trauer, Abscheu vor den Taten der Terroristen und Mitleid mit den Opfern sind in vielen Stellungnahmen zentral. Immer wieder betonen die Jugendlichen, dass Terrorismus niemals aus dem Islam heraus begründet werden kann. Für sie ist klar: das ist nicht ihre Religion, auf die sich die Attentäter beziehen. Und daher fragen sich auch manche, was habe ich damit zu tun? Aber auch Kritik wird geäußert, ob nicht das Leben jedes Menschen gleich viel Wert ist. Wieso wird dann aber über fast zeitgleiche und noch weit verheerendere Attentate in anderen Ländern nicht auch ausführlich berichtet? Die Rolle der Medien wird kritisch reflektiert und es werden auch erste Fragen nach den Ursachen gestellt. Auch wird der Wunsch nach mehr Kontakt und Austausch zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen geäußert, um so zusammen für gemeinsame Werte eintreten zu können – um den Hass keine Chance zu geben:

 

„Die Anschläge in Paris schockieren und erschüttern mich natürlich wie fast jeden anderen. Sie zeigen mir, was für schreckliche Ausmaße und Folgen eine Radikalisierung von Menschen jeglicher Religionszugehörigkeit oder mit jeglicher Ideologie haben kann. Was mich traurig macht ist, dass diese Attentäter wie auch viele andere diese Taten als “vom Islam gewollt“ deklarieren und begründen, was meiner Meinung nach nichts mit dem Islam zutun hat. Diese Attentate sehe ich für unsere Gesellschaft und Politiker als Warnung und Zeichen dafür, dass sich etwas ändern muss.
Die Attentate lösen viele Gefühle in mir aus. Wut, Trauer, Unverständnis und alles auf einmal. Wütend auf die Attentäter, die diese Attentate als “islamisch“ bezeichnen und sie damit begründen. Trauer, weil viele in der Gesellschaft ein schlechtes Bild vom Islam bekommen und sich Angst in ihr entwickelt, was oft dazu führt, dass viele Muslime in einen Topf geworfen werden und natürlich Trauer um die Opfer. Und Unverständnis, weil ich die Trauer um die Opfer zwar vollkommen verstehen kann, jedoch kein Verständnis dafür habe, dass eine noch viel größere Zahl von Menschen in anderen Ländern durch Radikale oder Diktatoren stirbt, jedoch in der Gesellschaft und in den Medien kaum ein Thema ist. Auch wenn es extrem klingt: Mir scheint es so, als seien die Leben der Opfer in Syrien, Nigeria (vor einigen Tagen starben ca. 2000 Menschen in Nigeria auf Grund eines Brandes verursacht durch Boko Haram) und anderen Ländern weniger der Aufmerksamkeit und Trauer wert als die der französischen Opfer in Paris.
Ich wünsche mir von der Gesellschaft, dass es zu einem viel intensiveren Austausch und Kontakt zwischen Muslimen und Nichtmuslimen kommt, um zu zeigen, dass das, was in Paris geschah, nichts mit dem wahren Islam, seiner Botschaft und seinen Glaubensanhängern zu tun hat. Beide Seiten sollten mehr aufeinander eingehen und sich besser kennen lernen. Nicht die Medien, sondern die Muslime sollten der westlichen Gesellschaft zeigen, was der Islam ist. Und nur sie (die Muslime) sind auch in der Lage dazu. Denn zur Zeit besteht bei vielen Nichtmuslimen Angst und Ablehnung des Islams, sowie ein falsches Bild, da in den Medien meist nur negative Schlagzeilen die Runde machen. Auch wünsche ich mir von Nichtmuslimen, sich über den Islam anhand von seriösen Quellen selbst zu informieren, um herauszufinden was er wirklich ist.
Der Wunsch an die Medien ist, dass sie nicht nur überwiegend negative Berichte über Muslime und die, die sich als solche ausgebens herausgeben, sondern auch Positives über Muslime berichten. Über Muslime, die sich in unserer Gesellschaft engagieren und integrieren, über Muslime, die friedlich leben und ihre Religion ausleben, damit nicht nur ein negatives Bild in der von Medien beeinflussten Gesellschaft entsteht. Auch wünsche ich mir von den Medien, die Attentate von Paris und überhaupt radikaler “Muslime“ und ihre Taten nicht mit dem Islam gleichzusetzen. Was ich mir auch wünsche, Opfern aus Syrien, Palästina, Nigeria oder sei es wo anders dieselbe angemessene Aufmerksamkeit wie den Opfern von Paris zu schenken.
Wie schon oben erwähnt, sehe ich diese Attentate als Warnung und Signal an Gesellschaft und Politik. Extremisten wie die beiden Attentäter von Paris sind meist Menschen, die am Rande der Gesellschaft leben, kaum die Chance haben, sich zu integrieren und Fuß in der Gesellschaft zu fassen und oft aus ärmlichen Familien kommen. Seien es Rechtsextremisten in Deutschland oder radikale Islamisten. Aus Verzweiflung finden sie dann oft in radikalen Gruppen Halt und Anerkennung. Die Politik und die Gesellschaft sollten daran arbeiten, mehr auf solche Gesellschaftsgruppen einzugehen, und ihnen die gleichen Chancen geben wie anderen und sie nicht ablehnen, bevor es zu spät ist.“
Midjan

„Die blutigen Ereignisse auf der Welt sind mehr als traurig. Ich möchte aufschreien #NichtInMeinemNamen, doch dann frage ich mich: Was kann ich dafür? Was können Muslime dafür? DENN: Ein Muslim kann kein Terrorist sein & Ein Terrorist kann kein Muslim sein!
Shima

Ein Angriff auf die Menschlichkeit – eine Stellungnahme aus muslimischer Sicht
„In schwarz gehüllt, mit sicheren Bewegungen, ohne jegliche Anflüge von Zweifel oder Befangenheit laufen sie auf der menschenleeren Straße umher, ihre Gewehre in der Luft fuchtelnd schießen sie völlig blindwütig um sich. Ein Polizist liegt zusammengekrümmt auf dem Asphalt. In dem Moment nimmt er wahrscheinlich einen seiner letzten Atemzüge, vielleicht sieht er vor seinen trägen Augen auf verblichener Dunkelheit die Gesichter seiner Familie, seiner Freunde. Einer der zwei Täter rennt an ihm vorbei, um ihm dann nochmal mitten in die Brust zu schießen. Ich wette er hat nicht mit der Wimper gezuckt. Oder mit dem Herzen.
Als ich diese Bilder ungläubig auf meinem Monitor flimmern sah, war mein Kopf wie leergefegt, um im nächsten Moment unzähligen Gedanken Raum zum Rumschwirren zu geben. Ich spielte es zweimal ab und an der Stelle des Schusses auf den am Boden liegenden Mann, stieg eine grässliche Gänsehaut in mir auf. Ich fing sofort an zu tippen, zu recherchieren. Wirre Fragen in den Fingern, die von Antworten gelöst wurden, von denen ich gewünscht hätte, sie nicht zu lesen. Nicht erneut. Zeilen wie ‚Radikale Islamisten‘ und ‚Rache an den Mohammad-Karikaturen‘ verfängt sich in meinem Blick und ich, ja ich möchte nur meine Augen schließen, meine Ohren zupressen und den Kopf schütteln. Nicht schon wieder. Nicht schon wieder unschuldige Menschen, nicht schon wieder Tote im Namen meiner Religion. Der Glaube, an dem ich mich seit meiner Kindheit festhielt, ihn fast schon umarmte und mit unsichtbarer Kreide als unverwischbaren Strich auf meinen Lebensweg zog, wurde erneut angegriffen. Die Schüsse und eisernen Patronen durchlöcherten die Körper nichtsahnender Menschen, um dann in den Mäuern des Islam-Gerüstes stecken zu bleiben.
Sie riefen ‚Allahu Akbar‘, also ‚Gott ist groß‘ und nahmen im gleichen Atemzug Leben, die Er erschuf. Ich frage mich, mit welchem Recht? Nein, ihr spricht den Namen Gottes aus, während ihr das tut, was Er verabscheut. Ich hätte diese Worte, diese Ausrufe gern aus ihren Mündern genommen, sie für Menschen verboten, die sie so dreist missbrauchen. Und alles was sie mit dieser uneingeschränkten Kaltblütigkeit verteidigt haben, waren die Vorurteile und das düstere Bild des Islam in den Köpfen eines Bündels von Menschen, die ungehemmt geschürt wurden. Ein Muslim glaubt an Gerechtigkeit, an die Heiligkeit der Fairness. Ein Muslim ist sich bewusst, dass das Töten eine der größtmöglichen Sünden ist. Dass der Prophet Mohammad in seiner Zeit als Prophet verfolgt wurde, gedemütigt und beleidigt, und trotz alledem immerzu von der Güte Gottes, von seiner unendlichen Geduld sprach. Dass eine Frau einmal Müll vor Seiner Tür ablegte, um ihn zu schmähen und unser Prophet dies ohne eine Reaktion still beseitigte. Und dies zog sich tagelang so hin, bis Er einmal beim Heraustreten keinen Müll vorfand. Er wusste, dass der Müll von Seiner Nachbarin kam, und so wurde er besorgt und besuchte sie. Die Nachbarin war tatsächlich krank und unser Prophet brachte ihr ein Glas Wasser, statt sie anzukeifen. Und nun? Nun tötet man also, wenn Negatives gegen die Religion ausgesprochen wird. Man erwidert Worte mit Schüssen und nennt sich dann einen Muslim, einen Gläubigen. Woran ihr glaubt weiß ich nicht, aber ich weiß wir leben nicht dieselbe Religion. Nicht an die gleichen Tugenden, die diese Tat brutal zerschlug. Und die Trümmer, wer hebt sie nun auf? Die französische Regierung, die Behörden – die Muslime? Wer wird die Splitter dieser Barbarei wegschaffen können, ohne sich ins eigene Fleisch zu schneiden?
Das Einzige was ich weiß ist, dass wahre Muslime sich strikt gegen diese Tat stellen und doch müde vom Positionieren sind. Und ich bin es auch. Das ständige Aussprechen von einheitlichen Meinungen, die Fragerei über die Gedanken zu Vorfällen, die einen selbst genauso wenig betreffen wie den Fragenden auch. Und trotzdem bin ich mir bewusst, dass Muslime in der heutigen Zeit dazu verpflichtet sind ihre Stimmen gegen solche Angriffe zu erheben und sie nicht bloß stillschweigend ablehnen dürfen. Die Karikaturen waren in meinen Augen mehr als überflüssig, keine Satire, sondern eine Beleidigung – gerichtet an das, was mir heilig ist. Doch auf so etwas sollte und darf einzig und allein eine verbale Erwiderung folgen. Karikaturen fordern schließlich Reaktionen, denen man nachgehen sollte. In Form von Reden vielleicht, von Artikeln und Texten, von öffentlichen Beiträgen sonstiger Form. Aber nicht mit Gewalt. Wozu denn auch? Wir wissen, dass nichts von den Karikaturen der Wahrheit entsprechen, andere wissen es sehr wahrscheinlich auch, und diejenigen die ihnen Glauben schenken, hätten auch ohne sie so gedacht und die vorurteilhaftenden Gedanken weiterhin gehegt, also wozu der Aufstand? Diplomatie ist das Schlüsselwort, Verständnis und Dialog. Gerüste, die eine intakte Gesellschaft aufrechterhalten. Denn wenn man körperlich attackiert, was einem nicht passt, was genau unterschiede Menschen dann noch von dem Tierreich?
Es ist kein Angriff von Muslimen auf den ‚Westen‘ und war es auch nie. Das Zielobjekt ist der gemeinsame Frieden, das Gemeinwohl. Gegen Leute, die mit solch gewaltiger Hinterlist dagegen vorgehen, sind keine Stimmen einzelner Gruppierungen in der Lage ihr Ende herbeizurufen. Wir müssen Hand in Hand gegen solch einen rohen Terror stehen, eine bunte Mauer muss diese graue Masse bremsen. Denn mehrere isolierte Gruppen lassen Lücken frei, durch die man ganz leicht hindurch kann. Denn einzelne Stimmen ergeben kein Echo.
Denn man ist immer lauter, wenn man viel ist.
Büsra

„… Die Muslime sind nicht der Islam! Das sollten sich die Menschen klar machen.
Aus meiner Sicht wurde in den letzten Jahrzehnten stetig ein Feindbild, nämlich das des Islam konstruiert und in diesen Tagen wird dies so deutlich wie noch nie zuvor. Es scheint als benötige die westliche Gesellschaft immer einen „Bösen“ oder einen „Sündenbock“ um seine Existenz und sein Handeln zu legitimieren. Damit hat sich für mich der fortschrittliche Westen als unfähig bewiesen, seine eigenen hoch gehaltenen Werte zu befolgen und aus der Geschichte zu lernen.
Ich bin 27 Jahre alt, in Deutschland geboren und aufgewachsen. Doch ich höre immer noch Sätze wie „woher kommen Sie denn EIGENTLICH her? „Ihr deutsch ist aber sehr gut“. Im Jahr 2015 sollten solche Sätze nicht mehr die Regel darstellen, denn es zeigt ganz deutlich, dass die Menschen nicht bereit oder fähig sind, deutsche Bürger, die aber (nach ihrem Bild) nicht „deutsch“ aussehen zu akzeptieren. Es wird immer noch über Integration gesprochen, dabei stellte sich für mich allerdings heraus, dass es überhaupt nicht um die Integration geht, sondern das Problem eher darin besteht, uns deutsche Muslime in der Gesellschaft zu akzeptieren. Nachdem der ehemalige Bundespräsident Wulf äußerte, dass der Islam zu Deutschland gehört, entbrannte eine hitzige Debatte darüber. Warum? Die Antwort ist die mangelnde Bereitschaft und Akzeptanz der Bürger.
Die Ursachen für den Terroranschlag in Paris sollten in genau diesem gesellschaftlichen Problem gesucht werden und nicht im Islam oder den Muslimen. Der Islam wurde hier nur instrumentalisiert.“
Madina, 27 Jahre

„… Ich möchte nicht darüber sprechen, was für einen immensen Schaden diese Gruppe der muslimischen Gemeinschaft in Europa zugefügt hat. Ich will auch nicht darstellen, warum dieser Akt nicht nur aus menschlicher, sondern gerade aus islamischer Sicht zutiefst falsch war und welche Strukturen es sind, die aus Menschen Terroristen machen. Noch nicht. Ich möchte jetzt, als Mensch, mein Beileid aussprechen. Die Täter haben sich an der gesamten Menschheit versündigt, an der Menschlichkeit in ihrem ursprünglichsten Sinne.
Mein tiefstes Mitgefühl gilt den Familien und Angehörigen der Ermordeten und jedem Einzelnen, der sich dieser Tage in Trauer hüllt.
Nemi

„Ich finde es bei solch einer Tat äußerst wichtig, die emotionale Ebene zu verlassen und analytisch das Geschehen aus mehreren Perspektiven zu betrachten. Keine Frage, die Tat war grausam. Das ist selbstverständlich. Aber warum wird dann derart penetrant die Verkündigung unseres Mitgefühls für die Opfer gefordert? Gleicht das nicht eher einer politischen Positionierung, dadurch dass dieser Angriff als Militärschlag gegen ein ganzes Land, nein einen ganzen Kontinent gedeutet wird?
Ich finde die Entwicklungen beängstigend, aber bemühe mich selbst diesen Emotionen rational zu begegnen. Bereichernd finde ich Beiträge, die sich gekonnt auf der Metaebene mit diesen Geschehnissen auseinandersetzen …
Ebtisam

„Es ist wirklich traurig aus diesem Anlass zu schreiben. Ich denke das, was passiert ist, lässt niemanden, besonders keinen Muslim unberührt. Seit vier Tagen prasselt unglaublich viel auf diejenigen ein, die versuchen, sich mit dieser Thematik auseinander zu setzen.
Twitter, Facebook, Printmedien und Fernsehen, ich weiß nicht mehr, wohin ich gucken soll, was ich denken oder fühlen soll, wie ich mit den Geschehnissen umgehen soll. Ich habe das Gefühl, die “deutsche“ Gesellschaft erwartet von den hiesigen Muslimen, sich von den Geschehnissen zu distanzieren. Und das zu Unrecht? Was würde ich erwarten, wenn ich kein Muslim wäre, und meine einzige Informationsquelle “die Mainstreammedien“ sind. Wäre Angst nicht eine berechtigte Emotion? Würde ich nicht ebenfalls hoffen, dass deutsche Muslime diese Tat genauso abscheulich finden? Nun bin ich selbst Muslim und die Fragen von Distanz muss ich mir nicht stellen. Ich frage mich, was es bedeutet, sich von menschenverachtenden Taten wie diesen distanzieren zu müssen.
Bedeutet es nicht, dass vorher zwischen mir und dem Terror von Paris eine Verbindung hergestellt wird? Muss ich diese Verbindung als eine Anschuldigung deuten?
Ich möchte diese Fragen nicht beantworten, noch weniger möchte ich mich dazu äußern aus welchen gesellschaftlichen Kreisen die Täter kamen und was sie zu ihren Taten bewegte. Religion? Ich möchte auch nicht über die Karikaturen sprechen die für eine Vielzahl von Muslimen tiefbeleidigend sind und an Blasphemie grenzen.
Ich frage mich auch, welche Auswirkungen die Geschehnisse auf rassistische und rechtspopulistische Bewegungen wie Pegida haben werden. Sollte ich auf meine besorgte Mutter hören und meinen ungepflegten Studentenbart rasieren? Werde ich in Zukunft häufiger kritisch angeschaut?
… Mir bleibt damit nichts anderes übrig als die Trauer und tiefe Bestürztheit über die Geschehnisse, die jeder Mensch egal welcher Religion oder Nation empfindet, zu teilen. Mein Mitgefühl gilt den Verstorbenen und ihren Angehörigen. Mögen ihre Herzen Trost in solch einer trostlosen Zeit finden.“
Ali

„… Es ist ein zutiefst erschütterndes Ereignis, das sich in Paris ereignet hat. Wie ein Déjà-vu, die abgemilderte westeuropäische Form von 9/11. Und als Muslim steht man da und kann kaum glauben, was wieder im Namen der Religion geschehen ist. Menschen werden einfach mitten auf der Arbeit erschossen, die Tat wahrscheinlich gesegnet von irgendeinem Pseudo-Gelehrten mit seinem Pseudo-Islamverständnis und seiner Pseudo-Islaminterpretation. Der Koran selbst hat davor gewarnt, dass es diese Menschen geben wird, die sich die Religion und Verse so zusammenbasteln, wie es ihnen passt, willentlich oder aus Ignoranz heraus. So heißt es in der Sure al Imran, Vers sieben:
“Er ist es, der das Buch auf dich herabgesandt hat. In ihm gibt es eindeutig festgelegte Zeichen – sie sind die Urnorm des Buches – und andere, mehrdeutige. Diejenigen, in deren Herzen Abweichen von der Wahrheit steckt, folgen dem, was in ihm mehrdeutig ist, im Trachten danach, (die Menschen) zu verführen, und im Trachten danach, es (eigener) Deutung zu unterziehen. Um seine Deutung aber weiß niemand außer Gott. Und diejenigen, die im Wissen fest gegründet sind, sagen: «Wir glauben; das eine und das andere ist von unserem Herrn.» Jedoch bedenken (es) nur die Einsichtigen.”
Es wird Wenige interessieren, dass hier eine starke Differenzierung vollzogen werden muss zwischen dem Islam in seiner authentischen Deutung und dem Islam in seiner Pseudo-Deutung. Alles, was zurückbleibt, ist die Angst, dass es eine Hauptstadt Westeuropas getroffen hat und damit jede weitere westliche Stadt potentiell gefährdet ist. Die Tat wird als ein Angriff auf die westlich-freiheitlichen Werte verstanden und der Islam und seine Werte als diamteral dazu gesehen: Keine Freiheit, keine Achtung von Würde und Menschlichkeit. Der Islam als eine totalitäre Ordnung, wie es das Manifest der 12 schon gesehen hat. Nichts ist es, als ein Bestätigungsgefühl der Leute, die Vorurteile und Ängste gegenüber dem Islam hegten, derjenigen, die den ganzen Tag Hetze betreiben, und ich möchte nicht wissen, wie viel Zustrom die Pegida-Demonstranten noch erhalten werden oder wie schwer es für die Muslime in Frankreich nun wird. Für die Aufrichtigen, die tagtäglich versuchen über den Islam aufzuklären und sowieso kaum Gehör finden, konnte kaum Fataleres geschehen. Eine Tat weniger Irren reicht aus, um ihre wertvolle Arbeit zu verunglimpfen und eine ganze Religionsgemeinschaft gleich mit. Wer möchte denn gerne eine Religion in seiner Mitte haben, die assoziiert wird mit Terror und Unterdrückung?
Und doch, es bleibt uns Muslime nichts übrig, als weiter zu versuchen aufzuklären (vor allem auch in unseren eigenen Reihen!), Stellung zu beziehen und den Dialog zu suchen. Und es bleibt ebenso in der Verantwortung eines jeden aufrichtigen Menschen, sich nicht von Emotionen leiten zu lassen und mögliche Vorurteile und Ängste zu konfrontieren.
Ich wünsche mir nur und erhoffe, dass dieses menschenverachtende Ereignis auf einer möglichst rationalen Ebene medial aufgegriffen wird, dass versucht wird, es nicht emotional auszuschlachten auf Kosten einer notwendigen Differenzierung und der Wahrheit. Aber wie ich unsere Medien kenne, besteht weniger Hoffnung darauf. Und wie ich die Menschen kenne, haben sie oftmals einfache Bilder lieber.
Und kaum ertrage ich diese unglaubliche Heuchelei auf westlicher und islamischer Seite. Wenn David Cameron sagt, “We must never give up the values of free speech, the rule of law & democracy”, dann erinnere ich ihn da nur allzu gerne daran, wie in seinem Land erst kürzlich mit der Pressefreiheit umgegangen wurde. Und wenn 120 muslimische Gelehrte sich in einem offenen Brief gegen ISIS aussprechen, dann ist das lobenswert. Aber vielleicht hörte auch mal der ein oder andere auf, hinten rum andere unislamische und unterdrückerische Regime zu unterstützen.
Das alles ruft in mir einen Gedanken auf. In einer Überlieferung heißt es, dass es eines Tages so schwer sein wird an seinen Glauben festzuhalten, wie das Halten brennender Kohle in der Hand. Und fast ahne ich, dass diese Zeit nicht lange hin zu sein scheint.
Souher

„Ich würde mich darüber freuen, wenn man den Anschlag im Jemen mit 38 Toten auch nennt und betont, dass dieser Anschlag genauso tragisch ist, da nicht nur europäische Leben wertvoll sind.“
Kausar

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