Sauerkraut kauend im Cay rühren

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von Büsra

 

„Ich komme aus der Türkei, aber ich bin auch Deutsche. Ich besitze die deutsche Staatsbürgerschaft und spreche ausgezeichnet Deutsch.“

Es sind immer wieder diese oder ähnliche deklamierenden Phrasen, die monoton heruntergeleiert werden. Von muslimischen Jugendlichen gerne ausgepackt, wenn sie mit ihrer Identität konfrontiert werden. Fast schon wie ein Abwehrmechanismus, ein Reflex der Rechtfertigung, wo es eigentlich keinen Grund für eine gibt. Oft habe auch ich diese Grundsätze der Integrationsbeschaffenheit voll gekünsteltem Enthusiasmus aufgesagt, denn ich dachte ich müsste. Ich dachte eben, ich sollte. Doch mir wurde klar, von einem Moment auf den anderen, wie sehr diese abgestumpften und selbst kreierten Richtlinien von Integration die Entfaltung des eigenen Ichs eingrenzen. All die Blicke auf Äußerlichkeiten lassen uns vergessen, das Innere zu entdecken, all die Fragen des Hintergrundes machen uns blind vor den essentiellen Wesenszügen eines jeden im Vordergrund. Denn Identität besteht aus so viel mehr als der Nationalität, der Herkunft.

Identität ist ein Aufsatz des Bewusstseins, kein Diktat der Fakten. Unsere Gesellschaft hat schon lange aufgehört den ersten Blick auf den Menschen zu werfen, es wird angeschaut und nicht mehr gesehen. Viel mehr begutachtet, als wirklich wahrgenommen. Und genau hier schlagen die Probleme einer ganzen Generation ihre Wurzeln. Ich bin Muslima. Ein Kern, dessen Hülse ich selbst zeichne und eine Festung, deren Garten ich individuell pflege. Meine Religion ist eine feste Richtlinie auf meinem Weg. Ein Strich, der sich durch das Getümmel des Lebens schlängelt und mir in häufiger Orientierungslosigkeit die Richtung zeigt. Es ist eine Basis. Und auf der baue ich so viel mehr auf, als von außen geglaubt wird. Und der Weg, er ist groß, wenn nicht riesig.

Dieser Strich ist sichtbar, aber niemals belagernd. Es gibt mir genug Raum für all meine Individualität, die viel zu oft vergessen wird. Und ich möchte an sie erinnern, sie groß schreiben und auf ihre unberechtigt ignorierte Existenz hinweisen. Alles, was muslimische Jugendliche vereint, ist der Glaube, den sie in sich tragen. Und oft auch die ursprüngliche Herkunft. Es ist ganz klar ein starkes Band, doch darüber hinaus sind sie von vollkommener Verschiedenheit geprägt. In den schwer aussprechenden Namen schlummern Geschichten mannigfacher Natur. Hinter den Kopftüchern rauchen Ideen in Köpfen, die bewegen und prägen wollen. Dass sie können, darf keine unausgesprochene Frage bleiben, es gilt sie zu einem verinnerlichten Wissen zu formen. Oft ist es sehr schwierig auf die Probleme zu deuten, die noch immer die Wege vieler muslimischer Jugendlicher schneiden, ohne in die ewige und so verhasste Opferrolle gezwängt zu werden. Oder eben selbst in diese zu schlüpfen. Das ist selten die Absicht dieser Jugend, die manchmal eben doch missverstanden wird.

Das Problem liegt auf keiner wirklichen Seite. Vielmehr ist es die Art und Weise wie wir leben und denken. In einem festgefahrenen Schwarz­Weiß Muster tobt in unseren Köpfen ein regelrechter Sturm der Stigmatisierungen. Dabei ist die Nationalität vollkommen egal, denn jeder Mensch hat gewisse Vorbehalte und einige Voreingenommenheiten, die manchmal in ihrer Hartnäckigkeit keinem noch so verzweifelten Ausstechversuch der Moral und des Anstandes in uns weichen. Diesem voreingenommenem Denken unterliegen manche mehr, manche weniger. Vor allem sind Minderheiten davon betroffen. Noch immer begegne ich gerümpften Nasen, wenn zwei Jugendliche sich im Bus etwas lautstark auf Arabisch unterhalten und vermutlich über vollkommen banale Dinge plaudern. Meine Augen treffen manchmal auf missbilligende Blicke, wenn ich in der S­Bahn meinen kleinen Koran aus der Tasche herauskrame. Und ja, noch immer fallen ab und an Sprüche über das Tuch auf meinem Kopf. Das alles passiert und das darf es nicht. Doch es geschieht selten. Jedenfalls viel seltener, als wir denken. Und anders, als wir glauben.

Denn oft sind jene Blicke, die man selbst, im Zuge der Defensivhaltung, als abfällig einstuft, durch ein einfaches Anlächeln schnell in lachende Augen wandelbar. Und die einfache Neugier in permanentem Glotzen wird nur zu oft mit böswilliger Geringschätzung verwechselt. Und statt ständig über die negativen Erlebnisse zu reden und diesen nachzuhängen, würde es sicherlich nicht schaden auch mal von der ein oder anderen netten Geste und sei es noch so banal, die man mal von einem Mitbürger erfuhr, zu erzählen. Genau hier liegt die Aufgabe der jungen Muslime, der neuen Generation, die all diese Grenzen sucht abzulegen und zu einer ganzen verschmelzen will. Eine augenscheinlich ungleiche Masse, die so viel Gemeinsames teilt. Eine immense Verantwortung liegt in den Händen dieser muslimischen Jugend. Es gibt in jedem Fall Probleme, sei es nun die Skepsis so mancher deutscher Mitbürger gegenüber den Muslimen oder die Distanz von einigen muslimischen Jugendlichen gegenüber Nichtmuslimen. Diese müssen aufgegriffen werden, es soll geredet und debattiert werden für effektive Patentlösungen. Und einen großen Teil des anstehenden Diskurses muss die muslimische Community selbst übernehmen.

Statt die Arme zu verschränken und über die Ressentiments zu lamentieren, sollte mit geballtem Optimismus an den Schwierigkeiten geschliffen werden. Es muss die Frage gestellt werden, wieso diese Kluft nach Jahren des Zusammenlebens besteht. Um sie danach endgültig zu schließen. Das geht sicher nicht mit Achselzucken, aber doch mit dem Hochkrempeln der Ärmel. Mittlerweile bietet das Feld des Engagements von muslimischer Seite eine breitgefächerte Auswahl. Durch spannende Projekte veranstaltet von JUMA, interreligiöse Arbeit wie die der Gruppe „JUGA“ oder spezielle Entfaltungsmöglichkeiten kreativer Ideen muslimischer Köpfe im Netzwerk „Zahnräder“ werden unsagbar große Schritte in die richtige Richtung getan.

Ja, es gibt unter den ‘ausländischen’ Jugendlichen auch jene, die mit Strafdelikten fast schon zugekleistert sind. Die auf den Straßen rücksichtlos herumspucken und gerne mal andere Passanten anpöbeln. Jene, von denen geglaubt wird, sie seien zu dumm, um einen Abschluss zu machen. Es wird gerne auf diesen Teil der Migrantenkinder gezeigt, sie werden gepackt und als Beispiel für das langsame Vorankommen der kollektiven Anpassung von Ausländern angeprangert. Doch in diesem Zusammenhang wird außer Acht gelassen, welche Umstände diese Jugendlichen dazu treibt, ihr Leben auf solch eine leichtsinnige Art und Weise mit Hürden auszustatten. Es wird selten von den Problemen gesprochen, die auftreten, wenn man versucht zwischen zwei Welten die Balance zu halten und mit wenig Halt, sei es von Seiten der Familie oder der Schule, relativ schnell ausrutschen kann. Sie werden nicht berücksichtigt, es wird kritisiert und nicht abgewogen.

Die wertenden Worte prasseln auf und genauso schnell an dieser Jugend ab. Oft fehlen die nötigen Motivationsschübe und unterstützenden Gesten in den Klassen­ und Wohnzimmern, sodass sie kurzerhand vor einer Wand der Perspektivlosigkeit stehen. In dieser Situation vermengt sich die Ratlosigkeit mit der Wut und die einstigen Hilfesuchenden stehen als Schuldige da. Es wird weiter gepöbelt und weiter getadelt. Und nichts scheint diesen Teufelskreis brechen zu können. Nur primäre Erfahrungen und standfeste Dialoge können die in der Luft hängende Animosität wegdrängen. Brücken zwischen dem ewigen ‘Wir’ und ‘Ihr’ müssen mit bedeutenden Meilensteinen geebnet werden, damit sie nie mehr bröckeln. Dieses Land und diese Städte gehören uns allen, jeder Einzelne ist ein Teil von dem gesamten Gefüge. Ein Rädchen mit dessen Absenz das System nicht gleich gut funktionieren würde.

Es sind primäre Erfahrungen und standfeste Dialoge, die all die in der Luft hängende Animosität wegdrängen können. Die Brücken zwischen dem ewigen ‘Wir’ und ‘Ihr’ müssen mit bedeutenden Meilensteinen geebnet werden, damit sie nie mehr bröckeln. Dieses Land und diese Städte gehören uns allen, jeder Einzelne ist ein Teil von dem gesamten Gefüge. Ein Rädchen mit dessen Absenz das System nicht gleich gut funktionieren würde. Wir schweben zwischen zwei Sphären, laufen in zwei Welten umher. Doch verbinden wir mit beiden so unglaublich viel. So ist die natürlichste Reaktion auf so viel Verschiedenes die Kombination beider. Verbindet man die Gemeinsamkeiten, entsteht eine komplett neue und ganz persönliche Welt. Wenn begonnen wird, die individuelle Besonderheit eines jeden Menschen zu respektieren, werden all die Vorwürfe beider Gruppen verstummen und die aufeinander zeigenden Finger sinken.

Muslimische Jugendliche schweben zwischen zwei Sphären, laufen in zwei Welten umher. Doch verbinden wir mit beiden so unglaublich viel. Die natürlichste Reaktion auf so viel Verschiedenes ist die Kombination dieser. Verbindet man die Gemeinsamkeiten entsteht ein komplett neues und ganz persönliches Empfinden. Wenn begonnen wird die individuelle Besonderheit eines jeden Menschen zu respektieren, werden all die Vorwürfe beider Gruppen verstummen und die aufeinander zeigenden Finger sinken.

Wir leben und fühlen unter dem gleichen Himmel. Ob nun deutsch oder türkisch ­ was macht das schon, wenn wir die gleiche Sprache teilen, die ausreicht um uns zu verstehen. Zu verstehen, dass wir uns alle ähnlicher sind, als wir glauben. Dass wir uns glücklich schätzen können in der trüben Alltagsroutine eine strahlende Diversität durchscheinen zu sehen. Wie unterschiedlich wir alle sind, sodass es nie zu grau scheint. Wie gleich wir alle sind, sodass es nie zu grell scheint. Wir brauchen mehrere Hände, um diese Gesellschaft zu einer intakten aufzubauen und unsere Zukunft in eine friedliche zu wandeln.