Daniel Bax (r.) ist Islamwissenschaftler und Journalist. Jetzt hat er ein Buch vorgelegt, das sich mit den Gefahren der wachsenden Islamfeindlichkeit auseinandersetzt. JUMAner Ali Ighreiz hat den Publizisten getroffen und mit ihm über den Auftrieb der Rechtspopulisten, die Funktionsweise der Medien und den verengten Blick auf Rassismus gesprochen.

Ali Ighreiz: Der Titel Ihrer Buches ist: „Angst ums Abendland. Warum wir uns nicht vor den Muslimen, sondern vor den Islamfeinden fürchten sollten.“ Was hat Sie dazu veranlasst, dieses Buch zu schreiben?

Daniel Bax: Der Anlass waren Pegida und der Aufstieg der AfD – und die Tatsache, dass solche Parteien, wie wir sie jetzt erst mit der AfD haben, im europäischen Umland schon lange im Geschäft sind. Wir haben zum Beispiel in den Niederlanden mit Geert Wilders an der Spitze eine dezidiert islamfeindliche Partei neuen Typs, die sehr erfolgreich ist. In Frankreich gibt es den Front National, in der Schweiz die SVP, in Österreich die FPÖ – mitten in Europa sind also Parteien mit einer deutlich antimuslimischen Agenda sehr erfolgreich. Es ist eigentlich ein Sonderfall, dass es in Deutschland so lange gedauert hat, bis sich so eine Partei auch hierzulande etabliert und durchgesetzt hat. Aber Islamfeindschaft gibt es hier natürlich auch schon lange. Sie äußerte sich bisher nur nicht so, dass man Rechtspopulisten in Parlamenten gesehen hat, sondern eher vermittelt. Zum Beispiel, indem die etablierten Parteien teilweise Forderungen übernommen haben, die in anderen Ländern von Rechtspopulisten vertreten wurden, zum Beispiel die nach einem so genannten  „Burkaverbot“. Frau Klöckner macht damit in Rheinland-Pfalz jetzt Wahlkampf. Man sieht daran, dass solche Ideen auch bei uns ihren Niederschlag finden.

 Ali Ighreiz: Sie haben in Ihren Ausführungen den Begriff Islamfeindlichkeit benutzt, wohingegen Pegida- oder AfD-Anhänger sagen würden, dass es sich um berechtigte Kritik handele, die im Rahmen der Meinungsfreiheit geäußert werden darf. Was ist Ihrer Meinung nach der Unterschied zwischen Islamkritik und Islamfeindlichkeit?

Daniel Bax: Religionskritik ist in einer liberalen und säkularen Gesellschaft eine Selbstverständlichkeit. Fakt ist aber, dass mit der Behauptung, Religionskritik zu betreiben, in Wirklichkeit oft Ressentiments gegen eine Minderheit geschürt werden. Die Grenze ist für mich da erreicht, wo eine Religion pauschal abgewertet und diffamiert wird und vor allem, wenn eine Minderheit diskriminiert wird – und das passiert. Da fängt es an, problematisch zu werden.  

 Ali Ighreiz: Ich glaube, viele Muslime würden das, was Sie beschreiben, als antimuslimischen Rassismus bezeichnen. Sind diese Begriffe Islamfeindlichkeit und antimuslimischer Rassismus für Sie gleichzusetzen? Und, wenn ja, warum wird der Begriff Rassismus so selten in Bezug auf das genannte Phänomen benutzt?

Daniel Bax: Der Begriff Rassismus ist in Deutschland besonders konnotiert. Besonders im Gedächtnis geblieben ist der Rassenhass in der NS-Zeit. Deswegen wird Rassismus immer gleich mit Neonazis und Rechtsradikalismus gleichgesetzt – oder zum Beispiel mit der Diskriminierung von Schwarzen in den USA.  Rassismus wird oft nur als solcher erkannt, wenn er mit einer entsprechenden Rassenideologie oder Diskriminierung aufgrund der Hautfarbe einhergeht. Dass das etwas Alltägliches ist, das auch hierzulande stattfindet und sich eben auch gegen Leute richten kann, die eine andere Religion haben, ist nicht so präsent. Deshalb ist der Begriff „antimuslimischer Rassismus“ nicht so verbreitet. Aber für mich ist Islamfeindlichkeit eine Form von Rassismus. Nur eben ein kultureller Rassismus, der sich nicht auf vermeintliche biologische Unterschiede, sondern auf vermeintliche kulturelle Unterschiede beruft. Leider herrscht in Deutschland ein verkürzter Rassismusbegriff vor, der die verschiedenen Dimensionen von Rassismus überhaupt nicht begreift. Wir haben da ein Problem, sowohl bei den Medien als auch in weiten Teilen der Öffentlichkeit und in der Justiz. Wir merken immer wieder, dass Übergriffe erst dann als rassistisch wahrgenommen werden, wenn ein Hakenkreuz dabei ist oder ein rechtsradikaler Hintergrund deutlich erkennbar ist. Ansonsten wird das oft übersehen oder bagatellisiert.

Die Grenze ist für mich da erreicht, wo eine Religion pauschal abgewertet und diffamiert wird und vor allem, wenn eine Minderheit diskriminiert wird – und das passiert. Da fängt es an, problematisch zu werden.  

Ali Ighreiz: In der gegenwärtigen Debatte wird viel über Angst gesprochen. Wer hat Angst vor wem und werden diese Ängste auch genutzt, um Rassismus zu legitimieren?

Daniel Bax: Wir reden hier über die Ängste von Teilen der Mehrheitsgesellschaft. Und diese Ängste werden instrumentalisiert. Es gibt eine Verunsicherung in breiten Teilen der Bevölkerung, aber die hat zunächst einmal nichts mit den Muslimen zu tun. Wir leben in einer Zeit, die krisenhaft erscheint. Wir haben Terrorismus, wir haben Weltwirtschaftskrisen. In  solchen krisenhaften Umbruchsituationen liegt die Suche nach einem Schuldigen bzw. nach einem Feindbild nahe. Und das Feindbild, auf das sich jetzt viele einigen können, sind die Muslime und die Angst vor der vermeintlichen Islamisierung Europas. Das ist absurd, gerade in einer Gegend wie Sachsen. Aber wir stellen fest, dass die Vorurteile gerade dort am weitesten verbreitet sind, wo wenig Muslime leben.

  Ali Ighreiz: In der medialen Berichterstattung werden die Themen Integration, Radikalisierung, Terror und Flüchtlinge oft gleichzeitig diskutiert. Das ist zum Teil auch in der Debatte um die „Vorfälle in Köln“ zu beobachten. Halten Sie das für richtig, oder birgt diese Vorgehensweise Gefahren?

Daniel Bax: Aus der Sicht der Leute, die Angst vor Muslimen haben, ist es relativ naheliegend, ihre Ängste vor dem Islam auch auf die Flüchtlinge zu projizieren. Die Islamisierung des Flüchtlingsdiskurses ist für mich nicht  überraschend. Viele soziale Konflikte, über die wir in den letzten Jahren diskutiert haben, wurden „islamisiert“, ob es nun um Jugendkriminalität, häusliche Gewalt oder um Antisemitismus ging. Wenn muslimisch geprägte Migranten im Spiel sind, passiert es sehr schnell, dass die Diskussion um soziale Probleme islamisiert wird.

Viele soziale Konflikte, über die wir in den letzten Jahren diskutiert haben, wurden „islamisiert“, ob es nun um Jugendkriminalität, häusliche Gewalt oder um Antisemitismus ging. Wenn muslimisch geprägte Migranten im Spiel sind, passiert es sehr schnell, dass die Diskussion um soziale Probleme islamisiert wird.

Ali Ighreiz: Haben es AfD und Pegida durch ihre Vorwürfe der Presse und   den Behörden gegenüber geschafft, den Diskus in ihrem Sinne zu gestalten?

Daniel Bax: Wenn es nur AfD und Pegida wären, dann hätten sie diese Macht nicht. Populisten heißen ja nicht zufällig Populisten. Sie fordern das, von dem sie glauben, dass es gerade populär ist. Jedes zweite Deutsche hat Vorbehalte gegenüber Muslimen. Das sagen Umfragen. Da ist ja naheliegend, dass ich als Populist überlege, wie ich mir diese Vorbehalte zu Nutzen mache und mit welchen politischen Forderungen und Ängsten ich spiele, damit die Leute sagen: „Die AfD ist die einzige Partei, die mich versteht.“

AfD und Pegida greifen aber nur auf, was an Ressentiments in weiten Teilen der Bevölkerung bereits vorhanden ist, verstärken sie und geben ihnen zusätzlichen Drall. Es ist ja auch nicht so, dass es in Einwanderungsländern keine Probleme gibt, die mit der Migration zusammen hängen, oder dass die Medien alles richtig machen. Falsch ist aber, daraus   eine Verschwörungstheorie zu stricken – aber daran beteiligen sich auch etablierte Medien. Und es sind nicht nur „Fokus“ und „Cicero“, die diesen rechten Rand bedienen. Auch die „Bild“ und sogar die „Emma“ sind nicht frei davon, obwohl sie  von sich behaupten würden, dass sie mit AfD und Pegida nichts zu tun haben.

Daniel Bax, Angst ums Abendland

Ali Ighreiz: Es gibt eine Vielzahl von Übergriffen auf muslimische Einrichtungen und Flüchtlingsheime. Wie erklären Sie sich, dass selbst in linken Medienspektren die Berichterstattung über solche Vorfälle nicht genügend Gewicht findet?

Daniel Bax: Was als genügend empfunden wird, ist eine Frage der Bewertung. Aber was stimmt ist, dass Medien immer eine Auswahl treffen, und die hat auch etwas mit persönlicher Betroffenheit zu tun. Dass zum Beispiel das Attentat auf „Charlie Hebdo“ viel mehr Resonanz in den Medien gefunden hat als andere Terroranschläge hat sicher damit zu tun, dass sich Journalisten natürlich besonders betroffen gefühlt haben, weil es eben Journalisten getroffen hat.

Deutsche Journalisten fühlen sich in ihrer Mehrheit vielleicht eher durch „Migrantengewalt“ bedroht als durch rassistische Gewalt, die sie nicht trifft. Ich bin bei den „Neuen deutschen Medienmachern“, einem Verband, der der Meinung ist, dass es in der deutschen Medienlandschaft ein Repräsentationsdefizit gibt,  weil man in deutschen Redaktionen kaum Migranten findet – und auch nur sehr wenige Muslime. Das prägt natürlich den Blickwinkel der Medien. Das heißt, es ist natürlich ein bestimmter Teil der Gesellschaft, dessen Perspektive in den Medien zum Ausdruck kommt.  

Ali Ighreiz: Wie kann man mehr Vielfalt in die Medien bringen?

Daniel Bax: Die gesamte Gesellschaft  entwickelt sich gerade hin zu mehr Vielfalt. Mit einer neuen Generation junger Journalisten zieht diese Vielfalt zum Teil  automatisch ein. Aber man muss  auch bewusst  etwas dafür tun, um für mehr Vielfalt zu sorgen. Es gibt Medien, die sich dieser Aufgabe bewusster sind als andere. „Die Zeit“ zum Beispiel, aber auch der „Spiegel“ haben gemerkt, dass sie da ein Defizit haben und Anstrengungen unternommen, um das zu ändern. Ich habe die Hoffnung, dass mehr Medien erkennen, dass die Gesellschaft diverser wird und sie darauf reagieren müssen. Sie bleiben sonst in einer Nische und machen sich letztendlich selber überflüssig, weil sie alte Leser verlieren und keine neuen mehr hinzugewinnen.  

Ali Ighreiz: Glauben sie, dass eine Quote, wie es sie in der Wirtschaft gibt, auch für Menschen mit Migrationshintergrund im Medienbereich hilfreich wäre?

Daniel Bax: Eine Quote ist etwas sehr starres, das der Vielfalt menschlichen Lebens schwer gerecht wird. Anders als bei einer Frauenquote ist es auch  viel schwieriger klar zu definieren, wer einen Migrationshintergrund hat und wer nicht. Mein Vater ist Holländer, ich bin in Brasilien geboren und besitze  einen holländischen Pass, aber dieser Migrationshintergrund hat für mich in meinem Berufsleben keine große Rolle gespielt. Ich habe nicht die gleichen Probleme wie jemand, der vielleicht einen türkisch- oder arabischklingenden Namen hat, und dem man deshalb nicht zutraut, dass der über etwas anderes schreiben kann, als über den Nahen Osten oder die Türkei. Solche Vorurteile gibt es ja immer noch, auch in deutschen Redaktionen.  

Ali Ighreiz: Wir stellen insgesamt eine sehr polarisierte Gesellschaft fest. Der Sonntagstrend hat neulich ergeben, dass die AfD die drittstärkste Kraft ist. Wie ist ihr Ausblick für die Zukunft?

Daniel Bax: Bei dem Auftrieb der Rechtspopulisten kann einem schon angst und bange werden. Aber ich bin nicht nur pessimistisch. Es gibt Umfragen, die feststellen, dass Vorurteile und Ressentiments gegen Muslime durchaus weniger verbreitet sind in Ländern, in denen es eine starke rechtspopulistische Partei gibt, weil dann klar ist: Das sind die Fremdenfeinde, das sind die Islamfeinde. Man hat dann eine Chance, sich davon abzugrenzen. Insofern könnte der Schock darüber, dass die AfD in den nächsten Bundestag einziehen wird – was sie meiner Meinung nach tun wird  –  auch eine heilsame Wirkung haben. Es hängt aber ganz davon ab, wie sich die Gesellschaft verhält, und ob die etablierten Parteien weiterhin versuchen, den Forderungen der AfD entgegenzukommen, oder ob sie sich davon distanzieren.

Ali Ighreiz: Was können die Muslime tun? Es wird immer wieder gefordert, dass sich Muslime beispielsweise von Terror deutlicher distanzieren sollen. Halten Sie solche Distanzierungen für sinnvoll?

Daniel Bax: Einerseits kann es nicht schaden, da klar Position zu beziehen. Andererseits ist diese ständige Rechtfertigungserwartung natürlich auch ermüdend für viele Muslime. Ich denke, dass Angebote wie „Der Tag der offenen Moschee“ eine sinnvolle Sache sind, um Vorurteile abzubauen. Aber natürlich kann eine Minderheit nicht bestimmen, wie eine Mehrheit über sie denkt, wenn die Mehrheit das nicht will. Das heißt, es kommt darauf an, sich zu emanzipieren, Allianzen zu schließen, Bündnispartner zu finden und den Dialog zu suchen. Und potentielle Bündnispartner gibt es viele, auf allen Seiten und in vielen Milieus!

Ich habe die Hoffnung, dass mehr Medien erkennen, dass die Gesellschaft diverser wird und sie darauf reagieren müssen. Sie bleiben sonst in einer Nische und machen sich letztendlich selber überflüssig, weil sie alte Leser verlieren und keine neuen mehr hinzugewinnen.  

Daniel Bax, Angst ums Abendland