
„Finding our Voice“ ist ein Leitmotiv, dass uns JUMANER*INNEN seit Jahren antreibt, in der Gesellschaft positiv wirksam zu werden, als Muslim*innen. Unter dem Motto „Finding our Voice“ haben sich vor wenigen Tagen auch ungefähr 50 aktive Menschen aus Flüchtlings-, Migrant*innen- und Minderheitsorganisationen zu einem Workshop der Heinrich Böll Stiftung und der NPNA (National Partnership for New Americans) zusammengefunden.
Es wurde auf Arabisch, Englisch und Deutsch Fragen diskutiert wie: wie könnten Kommunikationsstrategien innerhalb und außerhalb der jeweiligen Communities aussehen, was können und müssen wir als Individuen und als Organisationen tun und welche Hürden müssen beseitigt werden. Einen besonderen Input liefert dabei die Expert*innen der NPNA (National Partnership for New Americans), die die Ansätze von US-Immigrant*innen Organisation vorstellten. Ihr Modell, die Neuankommenden nach dem Immigrationsstatus einzuordnen birgt die Chance, sich von den determinierenden Kategorien der Ethnie, Herkunfts- bzw. Geburtsland, formaler Bildungshintergrund oder soziale Schicht, freizumachen und lenkt gleichzeitig den Blick auf Entwicklungsmöglichkeiten. Beim Blick nach Deutschland stellen sich die Fragen, wie erreicht man die betroffenen, als Geflüchtete, sozial- und ökonomisch Marginalisierte? Wie identifiziert man sie? Ein arabisch-sprachiger Teilnehmer machte darauf Aufmerksam, dass die arabische Sprache eigentlich zwei Integrationen kennt – die Selbstintegration und das von integriert werden. Müssen wir nicht mit diesen beiden Perspektiven weiterdenken? In den sich anschließenden Arbeitsgruppen vertiefen wir die angesprochenen Themen noch einmal.
If you’re not at the table, you’re on the menu
Sprichwort, Herkunft unbekannt
Für alle ist klar, dass Reden allein nicht genug ist. Vorallem müssen wir – ein gesellschaftlich bunt gemischtes Wir, in welchem es Mehrheiten- und Minderheitenrealitäten gibt – wir müssen uns untereinander solidarisieren, einander unterstützen, also empowern. Solidarität ist zugleich wichtigster und erster Schritt für Kooperation, für das Sichtbar-machen und Sichtbar-werden und nicht zuletzt ein Schritt zur Anerkennung. Und diese Anerkennung betrifft nicht nur die Perspektive Mehrheitsgesellschaft – Minderheiten. Ich, als Individuum gehöre (mehr oder weniger) zum Kollektiv Menschen, deutsche Staatsbürger*innen, Frauen, sich als religiös Identifizierenden, Muslime, JUMA, Generation Y, Akademiker*innen usw. Will sagen, als Individuum identifizieren wir uns nicht mit einem Kollektiv, mit einer Gruppe, mit einem undifferenzierten Label – wir haben schon qua unserer Zugehörigkeiten Schnittmengen mit anderen. Warum sollten wir uns also nicht mit anderen solidarisieren, selbst, wenn wir auf den ersten Blick nichts mit ihnen teilen? Nun geht Solidarität selbstverständlich weiter, als ein bloßes Gedankenexperiment.

Einmischung ist die einzige Möglichkeit realistisch zu bleiben
Heinrich Böll
Der Blick auf uns als Teil der Migrant*innengesellschaft bzw. (religiöse) Minderheit, bedeutet einmal mehr, selbst aktiv zu werden, zu sein und zu bleiben. In erwähnter Arbeitsgruppe waren wir uns einig, dass gerade jene Teile der Bevölkerung, hierzulande, sich vorwagen sollten. Wichtige Ämter und Posten zu bekleiden, positive Beispiele und Vorbilder zu schaffen, bestehende institutionelle Angebote und Projekte noch mehr zu nutzen – nicht nur die eigene Stimme zu finden, sondern auch zu erheben. Wir sind vollwertige Mitglieder der Gesellschaft und niemand kann es uns absprechen. Im gleichen Gedankenzug müssen wir uns jedoch stets auch unseren Privilegien bewusst sein. Jeder und jede von uns hat Privilegien, die andere nicht haben mögen. Und das kann in Form eines Passes sein, eines akademischen Titels, einer körperlichen Verfasstheit und vielem mehr.
Beim gemeinsamen Fastenbrechen am Abend kam ich noch einmal persönlich mit Joshua Hoyt, Rebecca Shi und einigen anderen der National Partnership for New Americans ins Gespräch, deren entsetztes Erstaunen über Einschränkungen von Muslimminnen mit Kopftuch im Staatsdienst mich nachdenklich machte. Es ist Normalität für mich, wenn auch eine unangenehme, die ständigen Debatten und unschönen Äußerungen ertragen zu müssen, nicht zuletzt weil ich selbst Hijab trage. Mir wird einmal mehr bewusst, wie wichtig das Recht auf Selbstbestimmung ist und wie scheinheilig der Diskurs hier geführt wird. Meine Gesprächspartner*innen waren konsterniert – sie hatten sich Deutschland offener vorgestellt. Beim Recht auf Selbstbestimmung geht es ja nicht einmal nur um ein Stück Stoff oder um ein Aufenthaltstitel oder um Chancengleichheiten. Es geht um so vieles. Und es geht letztendlich um die Würde von Menschen.