
Die „Ehe für alle“ ist beschlossen. Die einen feiern sie, die anderen beachten sie mit Argwöhn und Horst Seehofer erwägt sogar eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht. Das Thema hat auch JUMAner*innen beschäftigt. Im JUMA-Blog haben sie ihre Meinung dazu aufgeschrieben
Von Mina
Über die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare wurde vergangenen Freitag, den 30.06.2017 entschieden.
Durch den Gesetzesentwurf „Ehe für alle“ wurde nun, drei Monate vor den Bundestagswahlen, vielen Millionen Menschen, die lange Zeit dafür gekämpft haben, auch politisch Anerkennung verliehen. Darüber hinaus wurde den Menschen nicht nur Anerkennung verliehen, viel mehr wurde dafür abgestimmt, dass gleichgeschlechtliche Paare auch gesetzlich gleichberechtigt sind, was letztlich das Abbild unserer Gesellschaft auch gesetzlich widerspiegelt, denn eine breite Mehrheit der deutschen Bevölkerung befürwortete die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare längst. Damit ist die Verabschiedung der Legalisierung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare eine Errungenschaft, ein Sieg für all jene, die für eine Gleichbehandlung und Gleichstellung von Minderheiten in der Gesellschaft stehen und an die demokratischen Werte glauben. Dass ein jeder sein Leben so leben kann, wie er/sie es für sich entscheidet und gutheißt.
„Wenn die Ehe für alle kommt, dann wird vielen etwas gegeben, aber niemanden etwas genommen.“ – Thomas Oppermann, SPD – Fraktionschef!
Von Iman
Auf den Beschluss des Bundestages am Freitag hin, sehe ich in den sozialen Medien nur zwei Reaktionen: wilde Diskussionen und nachdrückliche Statements oder beredtes Schweigen. Es bilden sich Fronten und Koalitionen, die so überraschend wie bizarr sind.
Ein AfD-Posting wirbt am LGBTIQ-Wählerrand (oder gehören queere Menschen etwa zum Kerngeschäft der sogenannten Alternative?), mit Muslimen-feindlichen Parolen, während die großen Gazetten auf ihren Online-Plattformen von einer möglichen Klage „der Konservativen“ gegen das Gesetz zur „Ehe für alle“ berichten. Wer das sein soll bleibt jedoch im vagen – konservativ allein reicht ja schon als gedachter Gegenentwurf zur „Ehe für alle“ – während Anhänger*innen einer gewissen christlichen Partei die Ehe als ihr ur-eigenes-konservatives-Heiligtum betrachten.
Ja, es ist ein wenig verwirrend. Wie kann, soll und muss ich positionieren? Positionieren möchte ich mich, da „betrifft mich nicht, keine Ahnung“ keine Haltung ist, die ich mir ethisch und moralisch zugestehen möchte. Denn es könnte mich genauso auch betreffen, Sexualität ist schließlich keine politische Meinung, die man sich ich Laufe des Lebens aneignet. Es ist auch kein Glaube oder Religion, der man folgt (mit all den Widersprüchen und Inspirationen, die Möglichkeiten zur Reflexion bieten). Und während ich diese Zeilen verfasse, spüre ich, wie schwer es ist nicht in Clichés, Stereotype oder –ismen zu verfallen. Welche Ansicht „darf“ ich vertreten, als jemand, die sich als Muslimin bezeichnet? Wie weit kann ich mich aus dem Fenster lehnen, meine eigene Meinung vertreten, ohne einerseits den Muslimen-Feinden in die Hände zu spielen und andererseits nicht mit Schweigen oder Missbilligung von Menschen bedacht zu werden, die eine andere Meinung als die meine vertreten.
Es gibt nun mal keine Universalitäten. Keine „richtige“ Reaktion, obwohl so viele sich aufgerufen fühlen zu reagieren. Und wieder einmal wird deutlich, dass das eigentliche Problem nicht unterschiedliche Weltsichten sind, sondern ein universaler Anspruch, zu wissen was für andere „richtig“ oder „falsch“ ist; die Politiken der Macht, die unliebsame Subjekte schaffen, von denen man sich moralisch abgrenzen möchte und das wir als gesamte Gesellschaft endlich einmal anfangen müssten zu trainieren, Meinungen stehen zu lassen oder zu zulassen, welche fundamental gegen die eigene (Ein-)Ordnung der Welt sprechen. Wir mögen uns verletzt, provoziert, gedemütigt, unverstanden, angegriffen, nicht-geduldet und angesprochen fühlen. Das alles ist Teil unseres Ichs und unseres Wirs. Und all das sagt etwas über jeden einzelnen von uns aus, wenn wir uns darauf einließen.
Wer allerdings die Ehe für alle (die nur so heißt, aber nicht für alle ist – anderes Thema) zum Anlass nimmt sich selbst aufzuwerten, in dem er*sie andere abwertet, diskreditiert sich selbst von der propagierten Gleichbehandlung. Darin unterscheiden sich im Übrigen keine der gesellschaftlichen Gruppierungen voneinander, unter welchem Label auch immer man sie einteilen möge.
Thomas Opperann: „Die Ehe für alle gibt vielen etwas, nimmt aber niemandem etwas weg“
Von Murat
Der Bundestag hat gestern in seiner letzten konstituierenden Sitzung dieser Legislaturperiode eine wahrlich historische Entscheidung getroffen. Er hat die sog. „Homo-Ehe“ beschlossen und damit die endgültige, rechtliche Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften ermöglicht. Somit reagiert er auf den Wandel der Zeit und integriert alternative Lebensentwürfe in die bestehende Rechtsordnung. Doch die Historie ist nicht ohne Tücken.
Grundsätzlich folge ich dem Tenor unserer Bundeskanzlerin und des Bundestagspräsidenten Lammert, die betonten, dass es sich hierbei um eine „Gewissensentscheidung“ handele bzw. beide Meinungen, also eine Annahme oder Ablehnung der „Ehe für Alle“, „legitim“ seien. Dass das Gesetz quasi im „Hauruck-Verfahren“ innerhalb weniger Tage verabschiedet wurde, haben viele Unionspolitiker moniert. Dies ist nachvollziehbar. Die eher symbolische Verabschiedung des Gesetzesentwurfs innerhalb weniger Tage hat keine höhere, gesamtgesellschaftliche Akzeptanz von Homosexuellen ausgelöst. Ganz im Gegenteil, viele Menschen fühlen sich verprellt, da sie in den Entscheidungsprozess nicht einbezogen wurden und das Ganze ihnen zu schnell ging. Eine gesamtgesellschaftliche Debatte im Vorhinein wäre sicherlich förderlich gewesen. Langfristig kann diese Gleichstellung allerdings zu einer höheren gesellschaftlichen Anerkennung homosexueller Lebensrealitäten führen. Auf selbigen Effekt setze ich aus dezidiert muslimischer Perspektive bei einer notwendigen Modifikation des Neutralitätsgesetzes in einigen Bundesländern. Die Legislative kann durch Gesetze Anstöße und Impulse setzen und somit als Wegbereiter für zivilgesellschaftliche Anerkennungsprozesse fungieren. Wenn gesellschaftlich benachteiligte Gruppen Stück für Stück dieselben Rechte zugesprochen bekommen, wird es Zeit, dass wir als Muslime auf diese Entwicklungen aufmerksam machen und selbige Umsetzung für unsere Rechte verlangen. Auf der anderen Seite kann man aus muslimischer Perspektive einwerfen, dass es fatal wäre, anderen benachteiligten Gruppen bestimmte Rechte zu verweigern, wenn man doch selbst seit Jahrzehnten um rechtliche Gleichstellung und Anerkennung kämpft.
Eingetragenen Lebenspartnerschaften wurden in den letzten Jahrzehnten peu a peu dieselben Rechte wie „klassischen“ Ehepartnern zugesprochen. Diese Urteile fällte häufig das Bundesverfassungsgericht als oberste und letzte richterliche Instanz in Deutschland. Die einzige wirkliche rechtliche Neuerung, die die „Ehe für Alle“ mitsichbringt, ist das Recht gleichgeschlechtlicher Partner auf die gemeinsame Volladoption von Kindern. Dies war bisher so in seiner jetzigen Form nicht möglich. Das Kindeswohl, dass in sonstigen familienpolitischen Debatten immer einen hohen Rang einnimmt, spielte im Vorlauf dieses Gesetzes (v.a. aufgrund seiner Kurzfristigkeit) überraschenderweise kaum eine Rolle. Inwieweit das Kindeswohl durch die neue Familienkonstellation, in welcher Form auch immer, beeinflusst wird, kann Stand heute nicht gesagt werden. Damit meine ich nicht, dass zwei Eltern gleichen Geschlechts grundsätzlich schlechtere Eltern wären. Das Gegenteil ist allerdings auch nicht bewiesen. Da wir eine völlig neue Ausgangssituation haben, sind wissenschaftliche Studien zur Volladoption von Kindern durch gleichgeschlechtliche Eltern vonnöten, um die bestmögliche Erziehung und Entwicklung dieser zu gewährleisten. Letztlich geht es auf der Meta-Ebene um Chancengleichheit eben jener Kinder. Zeiten ändern sich, ja. Aber auch in sich ändernden Zeiten und wandelnden Familienformen hat das Kindeswohl höchste Priorität.
Hinzu kommt die verfassungsrechtliche Komponente. Das Grundgesetz hat die Ehe zwar nicht definiert. Das Bundesverfassungsgericht hingegen, das in den letzten Jahren die Rechte Homosexueller kontinuierlich gestärkt hat, äußerte sich bei seinem letzten Urteil zu eingetragenen Lebenspartnerschaften 2013 in Abschnitt 81 wie folgt:
„1. Das Grundgesetz stellt Ehe und Familie in Art. 6 Abs. 1 unter den besonderen Schutz der rechtlichen Ordnung. […] Die Ehe als allein der Verbindung zwischen Mann und Frau vorbehaltenes Institut erfährt durch Art. 6 Abs. 1 GG einen eigenständigen verfassungsrechtlichen Schutz. Um diesem Schutzauftrag Genüge zu tun, ist es insbesondere Aufgabe des Staates, alles zu unterlassen, was die Ehe beschädigt oder sonst beeinträchtigt, und sie durch geeignete Maßnahmen zu fördern.“
Nicht umsonst haben einige Unionspolitiker angekündigt, gegen das neue Gesetz zu klagen. Bis vor zwei Jahren äußerte gar das SPD-geführte Justizministerium Bedenken gegenüber einer vollständigen rechtlichen Gleichstellung von „eingetragenen Lebenspartnerschaften“ und „Ehepartnern“, da dies ohne eine Änderung des Grundgesetzes nicht möglich sei. Ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts, welches diesbezüglich Klarheit schafft, scheint sehr wahrscheinlich und ist auch notwendig. Dass diese rechtlichen Zweifel auch erst so richtig nach der Gesetzesverabschiedung aufkeimten, steht symptomatisch für den „Hauruck-Charakter“ dieser Debatte.
Das neue Gesetz zur „Ehe für Alle“ ist unmissverständlich eine gesellschaftspolitische Zäsur. Es wird weitere Debatten zu alternativen Familienkonstellationen und Lebensentwürfen anstoßen und somit bisher „gebräuchliche“ Konventionen kräftig zum Wanken bringen. Dies scheint nur ein Anfang zu sein. „Die Linke“ hat bereits ein neues Transsexuellengesetz in Umlauf gebracht. Auch Diskussionen über öffentlich an Zuspruch gewinnende Phänomene wie die Polyamorie, also die gleichzeitig unter Zustimmung der Partner erfolgende Beziehung mit mehreren Partnern, werden geführt werden. Man kann diese herbeisehnen und als finale Loslösung von starren Denkmustern und Verwirklichung individueller Lebensstile rühmen. Man kann ihnen aber auch mit Bedenken begegnen. Dies stellt noch lange keine „reaktionäre“ Haltung dar. In Zukunft wird es wichtig sein, diese Debatten inklusiv zu führen, den Aspekt des Kindeswohls angemessen zu berücksichtigen und die Bevölkerung nicht vor vollendete Tatsachen zu stellen.