
Cemile Giousouf war die erste muslimische CDU-Direktkandidatin für den Bundestag. Mittlerweile ist sie Integrationsbeauftragte der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag und eine der wenigen muslimischen Frauen, die in der Bundespolitik mitmischen. Die Politikwissenschaftlerin griechisch-türkischer Herkunft hat JUMA im Interview erzählt, warum sie als Muslimin in der CDU aktiv ist, wie sie zum Neutralitätsgebot steht und warum, sie glaubt, dass sich Musliminnen und Muslime stärker in der Politik einbringen sollten.
Das Interview führte Neval Parlak
Neval Parlak: Muslimischen Jugendlichen wird oft vorgeworfen, ihre religiöse und deutsche Identität sei nicht vereinbar. Sie sind muslimisch und Mitglied einer christlich-demokratischen Volkspartei. Vor dem Hintergrund der ständigen Debatte um das Deutschsein, wie geht das für Sie zusammen?
Cemile Giousouf: Religion misst sich an dem, was die Menschen daraus machen. Auch für mich gilt, dass ein Islam, der sich gegen Demokratie, Menschenrechte, Freiheit und damit auch gegen unser Grundgesetz stellt, mit Deutschland nicht vereinbar ist. Leider gibt es diese Gruppen, aber sie sind in der absoluten Minderzahl. Wir reden vielleicht über ein höchstens zwei Prozent der Muslime in Deutschland. Qualitative und auch quantitative Studien über muslimisches Leben in Deutschland sind generell rar. Was die große friedliche Gruppe von Menschen überhaupt denkt, fühlt und sich wünscht, wissen wir so konkret gar nicht. Aber die Art und Weise, wie die Mehrheit der Muslime hier lebt – nämlich größtenteils unauffällig – und wie sie sich hier einbringen, zeigt deutlich, dass Muslime das Grundgesetz für sich als Werteverständnis akzeptieren und nach den Gesetzen dieses Landes leben. Viele sind mit Blick auf ihre Herkunftsländer ja auch dankbar in Deutschland leben zu können.
Wenn jemand die Regeln des Islam befolgt, entwertet er damit nicht das Grundgesetz
Ich glaube auch, dass ungerechtfertigterweise religiöses Leben also auch das islamische Kopftuch oder das muslimische Gebet in die negative Ecke gezogen wird oder, dass die Religionspraxis als antiwestlich empfunden wird. Wenn jemand die Regeln des Islam befolgt, entwertet er damit nicht das Grundgesetz. Im Gegenteil, unser Grundgesetz schützt auch die Religionspraxis. Wir haben aber aufgrund des islamistischen Terrorismus eine Debatte, in der vieles vermengt wird.
In der CDU bin ich, weil religiöse Werte für mich insgesamt wichtig sind. Ich finde es schade, wenn Religion als uncool oder mittelalterlich bewertet werden. Die gesellschaftliche Stimmung empfinde ich oft als areligiös. Gerade unter jungen Menschen würden wenige freiwillig zugeben, dass sie Sonntags in die Kirche gehen, dann ist man meistens ein Nerd. Ich finde es schade, dass Religiosität als Wertekompass insgesamt nicht mehr eine so große Rolle spielt. Das hat natürlich mit dem Wertewandel in der postindustriellen Gesellschaft zu tun, eine Entwicklung, die schon seit Jahrzehnten andauert. Ein Teil des aktuellen Spannungsverhältnisses, entsteht eben dadurch, dass es bei Muslimen statistisch gesehen eine stärkere Identifikation mit Religion gibt als in der Mehrheitsgesellschaft. Dadurch findet überhaupt diese Diskussion statt, wer modern und wer unmodern ist.
Ich persönlich setze mich dafür ein, dass jeder Mensch seine Religion frei leben können muss, egal ob Christ, Jude, Muslim oder andersgläubig. Ich finde es auch problematisch, wenn man religiöse Symbole auf dem Arbeitsmarkt nicht tragen darf.
Neval Parlak: Würden Sie dann auch sagen, dass ein Kopftuch im Schuldienst für Sie nicht problematisch ist?
Cemile Giousouf: Also ich persönlich empfinde das Kopftuch nicht als problematisch, weil ich glaube, dass die Schülerinnen und Schüler sowieso mit der Realität aufwachsen, in einer multireligiösen Gesellschaft zu leben. Im Moment ist die Rechtslage ja so, dass das Kopftuch nicht per se verboten ist, sondern nur dann verboten werden kann, wenn es den Schulfrieden stört. Das ist eine praktikable Vereinbarung, weil es kein grundsätzliches Verbot ist.
Rechtlich gesehen ist für mich wichtig, dass alle Religionen gleichbehandelt werden. Für mich ist entscheidend, dass es nicht zu einer Diskriminierung einer Gruppe kommt.
Neval Parlak: Weil wir uns schon auf der rechtlichen Dimension aufhalten: Nun hat Ihr Parteikollege Jens Spahn vor nicht allzu langer Zeit das Islamgesetz wieder eingefordert. Sie betonen, dass solch ein Sondergesetz verfassungsrechtlich gegen eine Gleichbehandlung der Religionen spricht. Können Sie uns das Islamgesetz erklären und warum Sie dazu so stehen?
Cemile Giousouf: Meine Kollegen haben die Idee entwickelt, dass ein „Islamgesetz“ sinnvoll wäre, um insgesamt zu regulieren, dass Imame aus dem Ausland nicht mehr finanziert und Finanzflüße aus dem Ausland kontrolliert werden sollen. Auch ein Moscheeregister wünschen sie sich. Was die Inhalte grundsätzlich angeht, sind diese Themen nicht neu – im Gegenteil. Die CDU war die erste Partei, die mit der Islamkonferenz, mit islamischer Theologie an Hochschulen eben genau diesem Trend etwas entgegensetzt hat.
Wir haben mittlerweile über 2000 Studierende an Hochschulen, die eine Ausbildung als islamischer Religionslehrer oder eine Imamausbildung zumindest akademisch absolvieren können. Das heißt, auf der Grundlage unseres Grundgesetzes arbeitet die CDU dafür. Es waren zwei Bildungsministerinnen der CDU, Schawan und jetzt Wanka, die sich sehr dafür einsetzen, dass wir unsere Imame in Deutschland ausbilden. Also inhaltlich verstehe ich diesen Punkt. Ich bin aber entschieden dagegen, dass es Sondergesetze für bestimmte Religionsgruppen in diesem Land gibt.
Das ist verfassungswidrig und wurde auch so formuliert. Wir müssen uns insgesamt tatsächlich, auch nach den Spionage-Vorwürfen über die Ditib, Gedanken machen, wie die Zukunft des Islam in Deutschland aussehen muss und da spielt die Ditib irgendwo eine Rolle. Ich kann den Frust meiner Kollegen verstehen, muss ich ehrlich sagen. Die Ditib hat leider über Jahre eine Hinhaltetaktik praktiziert. Leider gibt sie ihren eigenen jungen Leuten, die in der Lage wären, aus diesem Verein einen deutschen muslimischen Verein zu entwickeln, nicht die Luft zum Arbeiten. Das heißt, ich bin gegen ein Islamgesetz – keine Sondergesetze für Muslime, weil unser Religionsverfassungsrecht uns definitiv vorschreibt, dass wir alle Religionsgemeinschaften gleichbehandeln müssen. Gleichwohl müssen wir uns aber Strategien überlegen, wie wir für die Zukunft deutsch-muslimisches Personal in Deutschland ausbilden und die Gemeinden müssen dann auch diese jungen Imame und Imaminnen einstellen.
Neval Parlak: Sie haben es schon angedeutet: Seit Jahren besteht die Diskussion um die Anerkennung einer muslimischen Religionsgemeinschaft in Deutschland. Die deutsche Islamkonferenz sollte ein erster Schritt sein, muslimische Ansprechpartner an einen Tisch zu bringen. Trotz fortschrittlicher Entwicklungen zeigte sich dieses Übergangsformat nicht als repräsentativ für die muslimische Vielfalt. Wo sehen Sie Handlungspotential für eine rechtliche Anerkennung als Religionsgemeinschaft?
Cemile Giousouf: Die rechtliche Anerkennung ist Ländersache. Aus der islamischen Tradition wissen wir, dass wir nicht die Strukturen haben wie Christen. Die muslimische Community ist insgesamt ethnisch unterschiedlich aufgestellt und organisiert. Ich glaube aber, dass es einen neuen Trend gibt, was die neue muslimische Generation angeht. Da spielt weniger die Herkunft der Eltern eine große Rolle. Die jungen muslimischen Initiativen wie Zahnräder oder Juma beweisen ja, dass die ethnische Zugehörigkeit in den Hintergrund rückt und die Identifikation über das Muslimsein und das Deutschsein verläuft. Das zeigt im Übrigen auch, dass der deutsche Islam in Deutschland angekommen ist.
Ich finde, dass die zukünftigen Strukturen ihre Wünsche und Vorstellungen eines Islam in Deutschland widerspiegeln müssen. Ich sehe bei den jetzigen Verbänden, dass sie diesen Ansprüchen nicht gerecht werden. Wenn wir Imame haben, die weder die deutsche Sprache sprechen, noch auf die tatsächlichen Bedürfnisse der jungen Menschen eingehen können. Das ist keine generelle Kritik. Ich habe immer die wichtige Arbeit von Ditib und auch anderen muslimischen Organisationen hochgehalten. Sie sind sowohl was die Integrationsarbeit angeht aber auch als Religionsstätte einfach wichtig. Menschen gehen in die Moschee, um zu beten und nicht um integriert zu werden. Für die Zukunft wünsche ich mir aber, dass wir Strukturen entwickeln können, die den Bedürfnissen der jungen Generation gerecht werden. Da muss idealerweise ein guter Übergang von der älteren Generation in die Hände der jüngeren Generation passieren. Und zwar nicht in Konfrontation und im Gegeneinander, sondern im Dialog. Ich würde mir wünschen, dass die ältere Generation sich jetzt Gedanken macht, wie sie auch die Finanzierung der Imame in den Moscheegemeinden bewerkstelligen will.
Die Anerkennungsprozesse sind nicht deshalb gescheitert, weil der Staat nicht wollte, sondern weil die einzelnen Religionsgemeinschaften oftmals leider die Kriterien nicht erfüllen konnten. Auch der Sachverständigenrat für Migration hat uns bestätigt, dass die Regierung eine sehr religionsfreundliche Politik in den letzten Jahren gemacht hat, mit muslimischem Religionsunterricht, Theologie, den runden Tischen in den einzelnen Bundesländern. Leider wurden die Kriterien von muslimischer Seite nicht erfüllt. Das ist der Grund, warum die muslimische Community kein Geld vom Staat bekommt. Ansonsten könnten wir die Absolventen an den Universitäten jetzt mit Moscheesteuern finanzieren, wir könnten Jugendsozialarbeiter engagieren und beschäftigen. Aber so krebst die muslimische Community immer nur von einem Projekt zum anderen oder macht mehrheitlich alles ehrenamtlich. Gleichzeitig soll sie alle globalen Fragen lösen. Das ist ein Ungleichgewicht. Da müssen die Verbände selber tatsächlich mitarbeiten.
Neval Parlak: Sie haben gesagt, dass die Verbände die Kriterien nicht erfüllt haben und die Politik den Rahmen wohlwollend gestaltet hat. Könnten Sie die Kriterien vielleicht konkretisieren?
Cemile Giousouf: Ja, also beispielsweise müssen sie ja eine bestimmte Mitgliederstruktur aufweisen, sie müssen in den Verbänden demokratische Wahlen durchführen, um einen Vorstand zu wählen. Sie müssen nachweisen, dass sie einen Mitgliederbestand haben. Sie müssen nachweisen, wenn sie heute als Körperschaft anerkannt werden, dass sie in zehn Jahren noch eine bestimmte Mitgliederanzahl haben und damit ein Anrecht bzw. einen Bedarf haben, dass sie als Körperschaft anerkannt werden. Das sind sehr technische Dinge, die immer wieder zurückgespiegelt werden.
Neval Parlak: Viele junge Musliminnen und Muslime sind sich darüber bewusst, dass die Gemeinden ihre eigenen Interessen nicht immer abdecken können. Oft suchen sie deshalb eine Möglichkeit, neben Gemeindeangeboten ihren Interessen in der Mehrheitsgesellschaft auch gruppen- bzw. gesellschaftsübergreifend nachzugehen. Gleichzeitig bleibt ihnen durch Diskriminierungserfahrungen in Schulen, Universitäten und auf dem Arbeitsmarkt Partizipation verwehrt. Wie kann die deutsche Politik Beteiligungsmöglichkeiten für Jugendliche schaffen?
Wenn muslimische Studierende aufgrund des Kopftuchs Diskriminierungserfahrungen machen, kann ich es menschlich nachvollziehen, dass man keine Kraft hat, so etwas anzuzeigen. Politisch ist das aber verheerend
Cemile Giousouf: Ich bin für jeden Hinweis dankbar, wo solche Erfahrungen gemacht werden. Das ist für uns als Politik wichtig. Diese Erfahrungen müssen für uns messbar werden, damit wir dagegen arbeiten können. Wir haben im Familienministerium eine Bundesantidiskriminierungsstelle, wir haben einzelne Initiativen in Bundesländern. Leider wird davon noch viel zu wenig Gebrauch gemacht. Wenn muslimische Studierende aufgrund des Kopftuchs Diskriminierungserfahrungen machen, kann ich es menschlich nachvollziehen, dass man keine Kraft hat, so etwas anzuzeigen. Politisch ist das aber verheerend. Auch viele Angriffe auf Moscheen – von Schmierereien wie Hakenkreuzen bis hin zu Brandanschlägen – werden gar nicht zur Anzeige gebracht, weil man denkt, das bringt sowieso nichts. In der Statistik ist das wichtig. In der Polizeistatistik muss so etwas auftauchen und genauso müssen diese Diskriminierungserfahrungen gerade auch von jungen Muslimen zur Sprache gebracht werden.
Der andere Punkt ist, dass ich mir wünschen würde, dass man die Möglichkeiten der politischen Partizipation über deutsche Parteien stärker nutzt. Ich glaube und verstehe, dass es für das Empowerment der jungen muslimischen Generation wichtig ist, Eigeninitiativen zu kreieren. Ich finde auch die Arbeit und das Engagement total inspirierend. Was Sie da auf die Beine stellen ist großartig. Gleichzeitig wünsche ich mir aber, dass sich mehr junge Muslime auch in den politischen Parteien engagieren unabhängig davon, in welcher Partei. Die Debatte um den Islam in Deutschland wird nicht weniger – sie wird mehr. Wenn Sie wollen, dass Ihre Bedürfnisse gehört werden und in Politik fließt, dann müssen Sie auch dort Ihre Stimme erheben.
Neval Parlak: Neben Diskriminierungserfahrungen haben wir in diesem Land populistische Kräfte, die uns gewisse Hürden im Leben schaffen. Wir wissen, dass Deutschland sich 2001 öffentlich zum modernen Einwanderungsland erklärt hat. Dennoch gewinnen die AfD und andere Gruppen mit populistischen Ressentiments gegen migrantische Gruppen noch immer an Zulauf. Wie können wir konkret gegen solche polarisierenden Kräfte vorgehen? Im Hinblick auf die Bundestagswahlen: Hat die Union eine Strategie damit umzugehen?
Cemile Giousouf: Wir wissen, dass es bei Menschen, die die AfD wählen, häufig nicht um die Inhalte geht, sondern um gefühlte Wahrheiten. Wir merken, dass durch die Flüchtlingspolitik, die gerade auch die Bundeskanzlerin sehr stark unterstützend vorangetrieben hat, viele Menschen verunsichert waren, dass dieses Land sich vehement verändert. Die Zahlen und Fakten sagen etwas ganz Anderes. Wir haben einen Anteil von einem Prozent der weltweiten Flüchtlinge in diesem Land aufgenommen und die Menschen haben Angst vor Überfremdung. Die gefühlte Wahrheit hat also wenig mit den Fakten zu tun.
Was aber viel wichtiger ist als Fakten zu beschreiben, ist zu erzählen, dass für diese Menschen das Gefühl überragend ist, dass die politische Elite nicht für sie da ist. Das ist das, was die CDU macht und was jeder Abgeordnetenkollege und auch ich viel stärker macht: Bürgersprechstunden, öffentliche Veranstaltungen zu verschiedenen Themen, um den Menschen das Gefühl zu geben und für Ihre Sorgen da zu sein. Das ist für mich entscheidend. Nichtdestotrotz muss man für mich auch bei der Wahrheit bleiben. Es hilft nichts, den Leuten etwas vorzugaukeln. Zur Wahrheit gehört, dass sich unser Land natürlich verändert und auch in Zukunft verändern wird. Dabei spielen viele Faktoren eine Rolle, die weiterhin hohe Anzahl von Flüchtlingen weltweit, internationale Krisen und Kriege, globale Zusammenhänge und natürlich auch die Veränderungen innerhalb Europas. Wir können die Grenzen in Deutschland nicht dichtmachen und so tun, als hätten wir mit all dem nichts zu tun. Nationale Alleingänge und das Beharren auf nationaler Souveränität sind Irrwege, die uns nicht weiterbringen werden.
Neval Parlak: Mir scheint es immer so, als sei die Flüchtlingssituation ein Legitimationsgrund, diese ganze Scheindebatte „Passen die Muslime zu Deutschland? Haben wir nicht eigentlich zu viele von denen?“ wieder aufzurollen. Die Frage ist, ob dieser Dialog mit solchen Menschen ausreicht oder ob man nicht auch darüber aufklären muss, dass es in diesem Land Rassismus gibt und diese Diskriminierungsform auch nicht toleriert werden muss. Brauchen wir nicht viel stärkere Aufklärungsarbeit, um solchen Tendenzen entgegenzuwirken? Nimmt die CDU solche Ausschlussmechanismen in den Blick?
Ich bin nicht dafür, dass man den Dialog mit Hetzern und Hasspredigern wie Höcke sucht. Da glaube ich, nützt kein Dialog. Aber man muss mit den Menschen in den Dialog treten. Das sind die Menschen in unserer Gesellschaft, die sich insgesamt ausgeschlossen fühlen.
Cemile Giousouf: Das sind Leute, ganz häufig auch gut ausgebildete Leute, die Angst haben um das, was sie bisher verdient oder an Eigentum angeschafft haben. Da glaube ich schon, dass man versuchen muss, Kontakt aufzunehmen. Auf der anderen Seite muss man Hass und Hetze auch ganz klar beim Namen nennen und mit juristischen Mitteln dagegen angehen und diese Menschen entsprechend anzeigen. Was das Rassismusproblem angeht: Wir haben eine Debatte bei den Parteien mit unterschiedlichen Haltungen: „Gibt es in Deutschland strukturellen Rassismus oder nicht?“. Da glaube ich, scheiden sich die Geister. Ich persönlich glaube auch nicht, dass es strukturellen Rassismus in Deutschland gibt. Das würde ja bedeuten, dass Verwaltungen, Ministerien und Behörde strukturell gegen eine bestimmte Gruppe vorgehen. Soweit würde ich in Deutschland nicht gehen. Aber ich sage auch, dass Menschen, die gerade sichtbar muslimisch gekleidet sind, einen arabischen oder türkischen Namen haben, es definitiv schwieriger haben unabhängig von ihrem Status. Ich selber habe mich bei der Wohnungssuche mit meinem Namen zurückgehalten. Wir haben dieses Problem und wir brauchen eine noch offenere Debatte über Islamophobie und Islamfeindlichkeit in der Gesellschaft. Das gibt es tatsächlich viel zu wenig.
Ich glaube auch, dass Sie eine Generation sind, die gut ausgebildet ist, die selbstbewusster ist, die auch keine Identitätskonflikte mehr hat wie die zweite Generation. Ich glaube, dass Sie viel klarer in Ihrem Statement sind. Aber Sie sind noch zu leise. Ich glaube, dass es noch viel stärkere Stimmen von Ihrer Seite geben muss, zu sagen, „das ist unser Teil vom Kuchen und wir haben ein Recht darauf!“.
Neval Parlak: Sie halten eine langfristige Bildungsförderung für einen wichtigen Bestandteil einer „gelebten Anerkennungskultur“. Was muss sich Ihrer Meinung nach ändern, damit Bildung Integrationsfunktion erfüllt? Welche Bildungsmaßnahmen strebt die CDU an?
Cemile Giousouf: Ich glaube, dass wir mittlerweile ein Einwanderungsland sind. Ich nehme positiv wahr, dass auch innerhalb meiner Partei nicht mehr darüber diskutiert wird. Es ist eine Realität. Jetzt geht es darum, wie wir unser Einwanderungsland gestalten. Wir haben viele positive Beispiele, aber unsere Schulen sind noch keine Einwanderungsland-Schulen. Wir sehen leider sowohl im Geschichtsunterricht als auch im Religionsunterricht, den wir noch nicht umfassend haben, dass wir auf die gesellschaftlichen Realitäten noch nicht ausreichend reagiert haben. Die Migrationsgeschichte dieses Landes muss noch viel stärker im Schulunterricht Anerkennung finden. Die Bilingualität muss viel stärker Anerkennung finden, sodass jedes Kind, was in Deutschland aufwächst, und wir haben mittlerweile einen Migrationsanteil von 20 Prozent, Anerkennung findet.
Wir müssen auch stärker auf globale Phänomene reagieren. Im Kontext des Ukrainekrieges, der übrigens immer noch andauert, haben sich ukrainische und russische Familien genauso gestritten wie vor kurzem beim Türkei-Referendum die Anhänger und Gegner des Referendums bzw. der Regierung. Das heißt Außenpolitik ist auch immer Innenpolitik, dadurch, dass wir Migrantengruppen in Deutschland haben. Ich glaube, dass die Schulen darauf Antwort finden müssen.
Bildungspolitik ist Ländersache. Die CDU in NRW hat ein Konzept entwickelt, wo sie sagt, die Lehrer müssen besser ausgebildet werden. Sie müssen gezielter für eine interkulturelle Schülerschaft stark gemacht werden. Was aber enorm wichtig ist: Leider hängt die Schulbildung und der Erfolg der Jugendlichen immer noch davon ab, ob die Eltern Akademiker sind oder nicht. Diese Herkunftsabhängigkeit müssen wir definitiv bekämpfen. Das können wir nur machen, indem die individuelle Förderung von Schülerinnen und Schülern insgesamt verbessert werden muss: Kleinere Klassen, besser ausgebildete Lehrer, mehr Sozialarbeiter, d.h. insgesamt viel mehr Investitionen in die Bildungsarbeit.
Auch an den Hochschulen haben wir immer noch viel zu wenig Professorinnen und Professoren mit Migrationshintergrund. Auch da gibt es ganz wichtigen Nachbesserungsbedarf. Da geht es eben um die Durchlässigkeit im System: Wer kommt weiter? Wer wird gefördert und wer schafft den Absprung?
Neval Parlak: Wir haben viele muslimische Jugendliche, die sich eine Zukunft in diesem Land erhoffen und diese gemeinsam mitgestalten möchten. Was würden Sie ihnen als muslimische Abgeordnete auf den Weg geben?
Cemile Giousouf: Meine Geschichte aber auch viele andere Geschichten in diesem Land zeigen ja, dass man selbst wenn man aus einer sogenannten Gastarbeiter-Familie kommt, es sehr weit bringen kann. Mein Bespiel ist eines von ganz ganz vielen positiven Beispielen. Erstmal möchte ich mich bei allen bedanken, die diesen enormen Einsatz bringen, um unsere Gesellschaft besser zu gestalten und auch den jüngeren helfen, dass sie es schaffen.
Da ist eine ganz große Bereitschaft da und ich möchte Ihnen sagen, dass das wichtig ist. Nicht nur für mich persönlich als muslimische Abgeordnete, sondern für unsere Demokratie und für unsere Gesellschaft. Ihr Einsatz ist unbezahlbar. Ich wünsche mir, dass Sie weiter dranbleiben. Ich würde mir aber tatsächlich auch wünschen, dass Sie sich viel stärker in die politische Arbeit einbringen. Es ist entscheidend, dass Ihre Bedürfnisse in die politische Arbeit miteinfließen und nicht in nur muslimischen Initiativen formuliert werden. Sie müssen diesen Informationsfluss schaffen und da bin ich gerne bereit, die Plattform dafür anzubieten. Ich glaube, dass auch viel zu wenig Dialog gerade mit der jungen muslimischen nachwachsenden Elite stattfindet. Das müssen wir auf jeden Fall verbessern.
Neval Parlak: Nun ist Juma ein Beispiel für so eine muslimische Initiative. Warum halten Sie speziell Juma für wichtig?
Cemile Giousouf: Ich finde es positiv, dass Ihre muslimische Identität das verbindende Element ist, sich in unterschiedlichen Bereichen einzubringen. Ich finde es auch gut, dass die ethnische Herkunft der Eltern bei Ihnen keine Rolle mehr spielt. Also eigentlich sind Sie das beste Beispiel für Integration. Dass sie sich als deutsche Muslime identifizieren, zeigt ja, dass wir in Deutschland ein gutes System haben und dass man es hier auch weitbringen kann. Juma ist ein Leuchtturm. Ich kenne nur Ihre Initiative in der Form.
Neval Parlak: Vielen herzlichen Dank für das Gespräch!
Cemile Giousouf: Sehr gerne.