Vorurteile: Selbst-Check
Ganz oben auf der Agenda der Themengruppe „Mehr Chancengleichheit“ standen Vorurteile und Diskriminierung. Und die Jugendlichen begannen nicht mit dem Zeigefinger, der auf Andere zeigt, sondern mit sich selbst. Welche Bilder haben die Teilnehmer von verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen? Welche Bilder sind verzerrt und sollten korrigiert werden?

Diskriminierung aufspüren: Bei der Beschäftigung mit eigenen Vorurteilen blieb es allerdings nicht. Die JUMA-Themengruppe wollte Diskriminierungen aufspüren, egal wo und gegen wen sie sich richten.
Gesprächsrunden: Die Teilnehmer suchten das Gespräch mit Entscheidungsträgern aus der Politik, Bildung und Wirtschaft. Auch sogenannte „Islamkritiker“ haben die Teilnehmer getroffen.

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Zur Seite stand den JUMAnern dabei die Staatsministerin Aydan Özoguz. Sie ist im Jahr 1967 in Hamburg als Kind türkischer Kaufleute geboren und aufgewachsen. Nach ihrem Abitur folgte 1989 die Einbürgerung und das Studium der Anglistik. Anschließend arbeitete sie als Wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der Körber-Stiftung, wo sie bis 2009 auch viele Integrationsprojekte koordinierte. Bevor Sie Bundestagsabgeordnete wurde, war sie bereits Mitglied der Hamburgischen Bürgerschaft (im Prinzip das Hamburger „Abgeordnetenhaus“). Dort waren ihre Arbeitsschwerpunkte Soziales, Inneres, Jugend und Eingaben/Härtefälle. Im Deutschen Bundestag sitzt Aydan Özoguz seit 2009. Ihr Schwerpunkt dort: Jugendschutz und Neue Medien. Im März 2010 hat die SPD-Bundestagsfraktion Aydan Özoguz zu ihrer Integrationsbeauftragten ernannt. Neben ihrem Mandat ist sie seit 2010 stellvertretendes Mitglied des Kuratoriums des Deutschen Historischen Museums sowie der Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Ihre Homepage: http://oezoguz.de/

Frage: In welchen Momenten Ihres Lebens haben Sie sich als Teil der Gesellschaft gefühlt? In welchen Momenten nicht?

Ich habe mich in folgenden Momenten als Teil der Gesellschaft gefühlt: Bei der ersten Wahl, an der ich teilnehmen durfte, als ich mich auf dem Landesparteitag der SPD zur Wahl stellte und immer, wenn ich um Rat gefragt wurde und werde.
Im Gegensatz dazu habe ich mich in folgenden Momenten nicht als Teil der Gesellschaft gefühlt: nach den Reaktionen auf die Anschläge vom 11. September 2001, nach den Brandanschlägen von Solingen und Mölln und bei allen öffentlichen Diskussionen zum Thema ‚Islam‘.

Der stets engagierte Moderator Dervis Hizarci hat Politik und Englisch an der Freien Universität Berlin studiert. Zurzeit ist er Vorstandsmitglied der Türkischen Gemeinde Berlin. Er arbeitet als einer der wenigen Muslime als Bildungsreferent im Jüdischen Museum Berlin, wo er regelmäßig Jugendgruppen bzw. Schulklassen Führungen gibt.

AG eQuality- Gegen Diskriminierung und für Chancengleichheit

JUMA-Teilnehmerin über die Begegnung mit Prof. Schiffauer

Die Projektgruppen „Diskriminirung und Chancengleichheit“ und „Identität“ trafen den renomierten Ethnologen und Wissenschaftler Prof. Dr. Werner Schiffauer.

Der „Islam gehört nicht zu Deutschland“, diese Aussage hat in den letzten Wochen für viel Diskussionsstoff gesorgt, da die Debatten über Integration, insbesondere der Integration von Muslimen in Deutschland sehr einseitig verlaufen. Historisch betrachtet mag Herr Friedrich teilweise Recht haben, allerdings ist seine Aussage nicht zukunftsorientiert.

Dieser Ansicht ist auch Prof. Dr. Schiffauer, der sich mit der Arbeitsgruppe „Diskriminierung und Chancengleichheit“ und der Arbeitsgruppe „Identität“ des JUMA Projekts im Rathaus Schöneberg traf und mit uns über die aktuelle Islam- und Integrationsdebatte sprach, über Identität und Zugehörigkeit und Schwierigkeiten und Chancen für das Leben als Muslim in Deutschland diskutierte.

Schiffauer, der Professor für Vergleichende Kultur- und Sozialanthropologie an der Europa-Universität Viadrina Frankfurt Oder ist, beschäftigt sich seit über 20 Jahren mit türkischen Einwanderern und Muslimen in Deutschland.

Ein wichtiges Thema in diesem Zusammenhang ist die Frage nach Identität. Da Identität schwierig zu definieren ist, ist es laut Schiffauer einfacher von Zugehörigkeit zu sprechen. Es gibt doppelte Zugehörigkeiten und die Herausforderung besteht darin diese Zugehörigkeit zusammenzubringen. So ist beispielsweise die Heimat vieler Jugendlicher das Herkunftsland ihrer Eltern, ihr Zuhause jedoch ist Deutschland. Ein Problem entsteht erst, wenn Eindeutigkeit gefordert wird. Diese Forderung erzeugt Druck und kann Konflikte hervorrufen. Vielen von uns ist es aber gelungen, eine Verknüpfung herzustellen.

Schiffauer sieht genau in dieser Verknüpfung der Zugehörigkeiten eine Chance. Bei unserem Treffen zieht er den Vergleich zu einer Übersetzung. Eine Übersetzung, so Schiffauer, sei dem Originaltext immer nachgeordnet aber gleichzeitig das Mittel, das den Text erschließt, da er sonst „stumm“ bleibe.

Den Islam in die deutsche Gesellschaft zu übersetzen, ist also die Herausforderung, der wir uns als deutsche  Muslime stellen müssen. Dabei ist es besonders wichtig, sich einzubringen, d.h. nicht nur in der eigenen (muslimischen) Community aktiv zu sein, sondern auch in der nichtmuslimischen Mehrheitsgesellschaft. Diese Rolle als Übersetzer kann zwar unangenehm sein, bietet aber vor allem die Chance der Selbstreflektion. Schiffauer betont, dass die Haltung des Übersetzers vorwärtsgewandt und zukunftsorientiert sei. Die eigene Kritikfähigkeit würde geschult und Stärken und Schwächen könnten besser realisiert werden.

Eine Gefahr besteht bei der Verknüpfung von Kulturen und mehreren Zugehörigkeiten, dass man in der eigenen Vergangenheit auflebt. Durch die Betonung der eigenen Wurzeln wird zwar das Selbstbewusstsein gestärkt,  allerdings ist diese Orientierung, wie auch die anfänglich erwähnte Aussage des Ministers, rückwärtsgewandt.

Schiffauer teilte die Sorge der Teilnehmer, dass die gegenwärtige Stimmung der Gesellschaft gegenüber Muslimen problematisch sei und somit auch das „Übersetzen“ sehr schwierig. Die Frage wie die große Chance des Übersetzens, trotz der aktuellen Situation dennoch geschaffen werden könne, schwebte als großes Fragezeichen im Raum. Die Gesprächsatmosphäre und Stimmung im Raum war trotz vieler Sorgen sehr positiv und dynamisch.

Jeder von uns hat sehr viel mitgenommen an diesem Tag. Vor allem, dass Aufgeben nicht in Frage kommt. Selbstbewusstes Engagement steht im Vordergrund, damit wir Aufmerksamkeit und Interesse erzeugen. Wir müssen Identität als Aufgabe begreifen, nicht nur dabei verharren, was wir sind, sondern was wir noch sein möchten und was wir erreichen wollen. Diese Einstellung ist nicht starr und festgefahren, sondern vorwärtsgewandt und unsere Chance für die Zukunft! Die Chance zu zeigen, wie der Islam zu Deutschland gehört.

Mit Stephan Joachim Kramer, Generalsekretär des Zentralrates der Juden in Deutschland und Leiter des Berliner Büros des European Jewish Congress, trafen sich JUMA Teilnehmerinnen und Teilnehmer am 5. März 2012 in der Senatsverwaltung für Inneres und Sport zu einem Gespräch. Zusammenfassend hier zunächst das persönliche Feedback von Stephan Kramer, weiter unten ein Bericht einer Teilnehmerin über das Gespräch.

Stephan Kramer: „Das Gespräch mit den jungen Frauen und Männern des Projekts JUMA hat mich wieder einmal in meiner Meinung bestätigt, wonach Muslime genauso integrationswillig sind, wie andere Minderheiten in Deutschland. Mehr noch, sie wollen selbstbewusst diese Gesellschaft, in der sie leben und deren Prinzipien sie schätzen, auch mitgestalten und weiter entwickeln, wo dies nötig ist. Hierzu unternehmen sie vielfältige Anstrengungen, um ihre Rechte und Pflichten in Anspruch zu nehmen und sich zu engagieren. Andere Minderheiten können sich daran sogar ein Beispiel nehmen, wie JUMA mir gezeigt hat. Sie wollen dies als gleichberechtigte Bürgerinnen und Bürger auf gleicher Augenhöhe mit dem Rest der Gesellschaft tun, ohne sich dabei stets rechtfertigen oder ihre Verfassungstreue beweisen zu müssen. Eine starke religiöse Bindung im Islam steht dabei nicht im Widerspruch zu diesem Engagement. Es geht also nicht um Entweder/Oder sondern um Sowohl/Als Auch.

Diskriminierungserlebnisse, das Gefühl der Entwurzelung und Zurückweisung, führen jedoch über wachsende Frustration und Enttäuschung für manchen jungen Menschen direkt in den Extremismus. Ein Phänomen, dass übrigens nicht nur die Minderheit der Muslime betrifft. Das Muslime, als Teil unserer Gesellschaft, zu Deutschland gehören, wie Christen und Juden, ist m. E. eine Selbstverständlichkeit. Das die verfehlte Integrationspolitik in Deutschland auf diesem Weg eher Hindernis als Hilfe war und ist, ist ebenso evident. Vorurteile weiter abzubauen und einen Bewusstseinswechsel hin zu einer gesellschaftlichen Anerkennung zu erreichen, das ist unsere gemeinsame Aufgabe, als BürgerInnen dieses Landes.¨

Bericht einer Teilnehmerin: Stefan Kramer und JUMA – Eine jüdisch-muslimische Begegnung

 

„An diesem Montag Abend warteten die JUMA-Teilnehmer gespannt auf den Generalsekretär des Zentralrats der Juden, bis dieser dann in der Berliner Innenverwaltung eintraf und prompt für gute Stimmung sorgte. Nach einer kleinen Vorstellungsrunde ist man schon bald in eine heitere Diskussion mit dem Generalsekretär eingestiegen, wobei insbesondere Themen wie Rechtsextremismus und jüdisch-muslimische Beziehungen adressiert wurden. Aber auch persönliche Aspekte aus der Biographie von Herrn Kramer stießen auf reges Interesse der JUMA-Teilnehmer, wie z. B. seine Konversion zum Judentum und sein Weg innerhalb der jüdischen Gemeinde bis hin zum Generalsekretär. Schnell stellte man in der Diskussion fest, dass beide Religionsgemeinschaften trotz Diversität auch viele Gemeinsamkeiten aufweisen. In diesem Zusammenhang hob Herr Kramer insbesondere die Autonomie der Synagogen und der Moscheen hervor. Hier haben die JUMA Teilnehmer nachgehakt. Es ging ihnen es vor allem um die Anerkennung des Zentralrats der Juden als öffentlich-rechtliche Körperschaft. Was man tun müsse, um auch als islamische Gemeinde rechtlich anerkannt zu werden, war dabei die Leitfrage. Kramer stellte klar, dass hierbei der Fokus primär auf die Anerkennung auf Länderebene beruhe und mit den Vorteilen auch viele Pflichten einhergehen würden. Auch wenn die rechtliche Anerkennung des Islams erfolgen würde, bedeute dies nicht, dass der Islam auch gesellschaftlich anerkannt werden würde. Er siehe hier viel Aufholbedarf, da der Rassismus nicht in die Mitte der Gesellschaft gelangen dürfe. Von diesem Ausgangspunkt tauschten sich die JUMAs und Stefan Kramer über ihre jeweiligen Erfahrungen mit Rassismus aus und beschäftigten sich intensiv mit den NSU-Morden und dem Mord an Marwa El-Sherbini. Herr Kramer merkte an, dass man sich um alle gleichwertig kümmern müsse, unabhängig von dem ethnischen oder religiösen Hintergrund der Opfer. Hierbei kritisierte er primär den Umgang mit dem Mord an der Muslima El-Sherbini und forderte auch für die Opfer der NSU aufrichtige Empathie. Man war sich ebenfalls einig darüber, dass ein angemessenes Klima innerhalb der Gesellschaft geschaffen werden müsse, damit es erst gar nicht zu gewalttätigen Übergriffen auf Minderheiten komme.
Herr Kramer fordert vor allem politisches Handeln aus Überzeugung und eine Überwindung der Angst vor dem vermeintlichen Übernommen werden. Ebenfalls relevante Aspekte der Diskussion waren die Defizite, die man in den jeweiligen Gemeinden beobachtet und den Bedarf, den beide Seiten in vielen Bereichen hätten. Der Generalsekretär betonte hierbei vor allem die Vielfalt innerhalb der jüdischen Gemeinde, die zwar stets als eine Gemeinde mit einer Kultur und Sprache wahrgenommen würde, sie aber in Realität sich aus verschiedenen Menschen aus den verschiedensten Ländern und Kulturen zusammensetze. Ein Thema, das am Schluss noch einmal die Gemüter aufwallen ließ, war der Nahost- Konflikt. Bei seiner Stellungnahme zu dem Konflikt unterstrich Herr Kramer die Bedeutung und Notwendigkeit des israelischen Staates als eine Lebensversicherung für die jüdischen Gemeinden außerhalb Israels. Dennoch betonte er, dass man nicht jede politische Entscheidung Israels richtig finden und den Teufelskreis durchbrechen müsse. Dies würde nach Kramers Ansicht auch geschehen, wenn die Konfliktparteien auch außerhalb Israels aufeinander zugehen und sich auf einen Dialog einlassen. „Man könne miteinander mehr erreichen als gegeneinander“, so Stephan Kramer. Auch die JUMA-Teilnehmer sehen dies so und  hoffen auf weitere Kooperationen mit dem Generalsekretär. Vielleicht initiiert dieser ja bald ein jüdisches Pendant zu JUMA, abgeneigt schien er nicht zu sein von dieser Idee.
Fazit dieser sehr lebhaften und sehr unterhaltsamen Diskussion war das Bekenntnis zur Zusammenarbeit beider Seiten und zur Entgegenwirkung von Ressentiments innerhalb der jeweiligen Gemeinden und Herr Kramer hinterließ bei den JUMAs vor allem durch seinen Esprit und seiner Differenziertheit einen sehr guten Eindruck.“

 

Am 14. November 2011 hat die JUMA-Gruppe um Moderator Dervis Hizarci den Bundestagabgeordneten Swen Schulz von der SPD-Fraktion getroffen. Swen Schulz hat Politologie studiert, stammt ursprünglich aus Hamburg und hat seinen Wahlkreis in Spandau. Sein Fachgebiet ist Bildung und Forschung. So setzt er sich seit längerer Zeit dafür ein, dass auch in Berlin ein Studiengang Islamische Theologie bzw. Islamische Studien eingeführt wird. Das war dann auch das Hauptthema unserer Diskussion mit ihm. Wer bestimmt die Studieninhalte? Wer stellt die Professoren? Die Frage, ob er sich auch vorstellen könne, dass Professorinnen mit Kopftuch unterrichten werden, hat Swen Schulz bejaht. Er beklagte, dass mittlerweile viele junge Frauen aufgrund ihres Kopftuches Diskriminierungserfahrungen machen würden.

Das zweite wichtige Thema das Abends war dann Spielsucht und Glücksspiel. Der Abgeordnete erklärte, welche politischen Initiativen es auf Landes- und Bundesebene gibt, um Glückssiel einzudämmen und wie Lobbyisten auf der anderen Seite versuchten, gegen weitere rechtliche Bestimmungen vorzugehen. Die Idee, Aktionstage gegen Glücksspiele in Zusammenarbeit mit Moscheen durchzuführen, gefiel Swen Schulz. Mal sehen, vielleicht wird das ja die nächste große JUMA-Aktion.